Ich überfall' auch keinen mehr

■ Ärzte fordern mehr Akzeptanz für Süchtige / Runde Tisch mit Betroffenen

Friedfertige Stimmung in der Friedenskirche: Unter dem Motto „Methadon - Irrweg oder Ausweg“ hatte am Mittwoch die Interessensgemeinschaft Ostertor zu einem Runden Tisch geladen. Anwesend waren substituierte Drogenabhängige, die mit Methadon behandelt werden, Ärzte, Viertelbewohner und Viertelinitiativen, Berater der Drogenberatungsstelle DROBS aus der Bauernstraße sowie Mitglieder der Kirchengemeinde der Friedenskirche.

Etwa 320 ehemalige Heroinabhängige werden in Bremen mit dem Methadonpräparat Polamidon versorgt. Das Mittel verursacht - wie auch reines Heroin - keine körperlichen Schäden, die Tagesdosis muß nicht erhöht, sondern kann kontinuierlich gesenkt werden, und auch die Kosten sind verschwindend gering: Eine durchschnittliche Tagesration kostet knapp 15 Mark. Die Betroffenen finden leichter in ein geregeltes Alltagsleben zurück. „Ich hätte meine Mutter verkauft, um einen Druck zu kriegen“ meint ein Ex-Junkie. „Pola ist korrekt, sonst wär' ich vielleicht schon tot. Ich klau' nicht mehr, überfall' keinen mehr.“ Methadon als Wundermittel in der Drogentherapie?

So einfach ist das allerdings nicht. Mit Methadon wird nur behandelt, wer neben der Drogenabhängigkeit eine Begleitkrankheit wie Lungen- oder Leberentzündung, HIV-Infektion oder eine psychiatrische Krankheit, etwa Schizophrenie, nachweisen kann. Im Gegensatz zum Alkoholismus gilt Drogenabhängigkeit für die Krankenkassen nicht als Krankheit. die begleitende Betreuung ist in Bremen nicht aufwendig; auf über 300 Substituierte kommen etwa 10 MitarbeiterInnen im sozialen Bereich. Wohnraumbeschaffung und Arbeitsplatzsuche - wichtige Stationen auf dem Weg ins „normale“ Leben - können nicht unterstützend begleitet werden. Ein weiteres Problem der Polamidonbehandlung ist der Beigebrauch von anderen Suchtmitteln, wie etwa die regelmäßige Einnahme des Schlafmittels Rohypnol.

Mehr Akzeptanz in der Bevölkerung wünschen sich alle Betroffenen. Sie haben Angst, sich als Methadonkonsumenten zu offenbaren: „Die Nachbarn würden die Wäsche von der Leine nehmen.“ Diese Akzeptanz fehlt freilich auch unter den niedergelassenen Ärzten. Sie sind für die Polamidonvergabe zuständig, können aber dazu „nicht gezwungen werden“, erklärte Dr. Kramann von der Drogenberatungsstelle Bauernstraße. Für einen Erfolg des Methadonprogramms müßten dringend mehr Ärzte gefunden werden. Die Anzahl ist bisher viel zu gering, drei Ärzte tragen derzeit die Hauptlast der Behandlungen. Dr. Heinen, selbst niedergelassener Arzt in Bremen, sprach die Angst vieler Ärzte an, durch die Behandlung ehemaliger Herionkonsumenten ihre gutsituierten Patienten zu vergrällen. „Wenn dann die Privatpatientin Müller verschwindet - da wird's bei vielen Doktors kurz.“ Gabriele Heepen