Die sitzen da alle so ernst und gucken finster

■ Berlin mit nicaraguanischen Augen: Seit drei Wochen ist eine Schüler-Lehrer-Gruppe auf Besuch in einer Oberschule/ Positiv finden sie »die Freiheit der Frauen«, aber der historische und aktuelle deutsche Rassismus erschreckt sie

Steglitz. Etwas anders hatten sie sich Deutschland schon vorgestellt — die sechs nicaraguanischen SchülerInnen und zwei LehrerInnen aus der Gegend von Somoto, die im Rahmen einer Schulpartnerschaft seit drei Wochen in der Steglitzer Fichtenberg-Oberschule weilen. »Wir haben gedacht, Deutschland ist eine große Macht, überall wird die Arbeit von Maschinen gemacht, überall wachsen Blumen«, sagt die Schülerin Aleida, »aber das ist nicht so«. Nach dreiwöchigem Programm, das nicht nur die Teilnahme am Unterricht einschloß, sondern auch den Besuch einer BMW-Fertigungsstätte, eines Sozialamts und anderes mehr, weiß sie wohl, daß es hier große soziale Unterschiede gibt.

Aber »keine Armut«, befindet sie. Armut, das ist für sie untrennbar verbunden mit Hunger und Unterernährung, und beides nimmt in der immer wieder von Dürreperioden heimgesuchten Region von Somoto nahe der honduranischen Grenze immer mehr zu.

Das anfangs offenbar recht gloriose Deutschlandbild der jungen Nicas hat sich aber auch durch die Konfrontation mit dem historischen und aktuellen Rassismus der Deutschen differenziert. Schwer beeindruckt hat sie ein Besuch in der Gedenkstätte im KZ Sachsenhausen. »Wir wußten schon«, sagen die Schüler Brooklyn, Carlos und José, »daß Hitler ein sehr schlechter Mensch war«. Was Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg bedeuteten, das hatten sie in Ansätzen auch in der Schule gelernt. Aber »das ingenieurmäßige Morden«, das hatten sie sich nicht vorstellen können, das finden sie auch jetzt noch »unfaßbar«. Und daß der Fremdenhaß immer noch oder wieder untergründig tobt, das mußten sie bei einem Gespräch mit nicaraguanischen Studenten in der Technischen Universität feststellen. Das »unterentwickelte« Nicaragua, sagt Aleida, sei hier viel fortgeschrittener: »Dort gibt es keinen Rassismus«.

Zurückgeblieben aber, findet sie, seien viele männliche Nicas, die »machistas«. Die deutschen Frauen seien »freier«. »Hier sind die Umgangsformen zwischen Frauen und Männern intellektueller«, finden auch die Jungs, die »keine Machos« sein wollen. »In Nicaragua sagt der Mann, was Sache ist, und die Frau muß in der Hütte bleiben.« »Wenn die nicaraguanischen Männer mal kochen oder ihre Hosen waschen«, stimmt der Lehrer Ernesto zu, »haben sie Angst, ihre Männlichkeit zu verlieren. Aber ich werde viel kochen, wenn ich zurückgekehrt bin.« Lachend erinnert hier der Steglitzer Lehrer Jochen Schemetzko, der die Gruppe während ihres ganzen Aufenthalts betreut, an den gemeinsamen Ausflug nach Wolfenbüttel: An einem Abend kochten ausschließlich die Männer und schnitten und schnitzten zum ersten Mal in ihrem Leben Zwiebeln und Karotten.

»Der Machismo wird aber auch durch unser eigenes Verhalten gefördert«, gibt Lehrerin Maria Susanna selbstkritisch zu. Unter der früheren sandinistischen Regierung hätten sie erst langsam gelernt, in der Zivilverteidigung, in der Kaffee- und Tabakproduktion ihre Frau zu stehen und verantwortliche Posten einzunehmen. »Wir sind zwar ein Stück des Weges gegangen«, sagt sie, »aber eine Riesenstrecke liegt noch vor uns«.

Das ist übrigens auch der Grund, warum in der Kooperative »Las Lomas« in der Region Somoto vertraglich festgelegt wurde, daß Frauen und Männer in der Arbeit gleichgestellt sind. Die auf Viehzucht und Obstbäume spezialisierte Kooperative mit sechzehn Familien wird vom deutschen Verein »Regionale Förderung für Somoto in Nicaragua« gefördert. Die beim Berliner Wirtschaftssenator angesiedelte Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit stellte hierfür rund 100.000 Mark zur Verfügung.

Lehrer Jochen Schemetzko hatte den Verein mitgegründet, nachdem er zusammen mit einer Kollegin im Jahre 1985 die Region Somoto besucht und danach auch für den Aufbau der Schul- und Gewerkschaftspartnerschaft zwischen Somoto und Berlin gesorgt hatte. Durch Spenden und Senatsgelder gefördert, wurden dort bisher unter anderem mehrere Schulgebäude und zwei Trinkwasseranlagen für 236 beziehungsweise 80 Familien errichtet.

Und vor zwei Jahren weilte dort eine Gruppe Steglitzer SchülerInnen. Auch die Wahrnehmungen von Anna, Ulla, Annette und Valerie sind dadurch geschärft worden: Die Nicas »sind viel lockerer und charmanter«, glauben sie. »Hier in Berlin ist es viel schwieriger, mit Jungs zu sprechen. Alle bewegen sich in Cliquen, sind cool, zeigen nichts von sich, und man lernt kaum jemand kennen. Eigentlich ist das furchtbar.« Auch die Nicas finden die Atmosphäre in der U-Bahn ziemlich merkwürdig: »Die sitzen da alle so ernst und gucken finster. Ich weiß nicht, warum.« Ute Scheub