DURCHS DRÖHNLAND
: Sartre auf dem Klo, Velvet Underground zerlegt

■ Die besten und schlechtesten, wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Spätestens seit Morrissey und seinen Smiths gibt es eine unheilvolle Tradition in England: junge, zu großen Hoffnungen Anlaß gebende Männer versinken reihenweise im Selbstmitleid. Bei Morrissey war das zuerst einmal Pose, führte dann aber zu durchaus handfesten politischen Aussagen (Meat is murder). Bei Damon Albarn, seines Zeichens Sänger von Blur, bleibt bloß die reine und zum Habitus erstarrte Verzweiflung über die Schlechtigkeit der Welt: »I can't feel/ I am numb/ So what is the worth in all of this«. Mittelstandsbubis, bei denen auf dem Klo Sartre rumliegt, die auch sonst einiges falsch verstanden haben und sich in ihrer apokalyptischen Gefühlswelt außerordentlich gut gefallen, gerade weil sie es sich leisten können, ihre Fake-Gefühle zu kultivieren. Traurig bloß, daß Blur an sich sehr schöne Musik machen, auch wenn die nahezu unvermeidlichen Rave-Einflüsse schon etwas veraltet sind. Aber ein nettes Rhythmus-Geflacker im Hintergrund ist immer in Ordnung, die Gitarren sind für englische Verhältnisse eher hart und vor allem zäh, manchmal gar Siebziger Hardrock mit den hübschen Verzerrungen und WahWah-Effekten, die auch bei Led Zeppelin und anderen schon sehr beliebt waren. Wenn da nicht die selbstverliebte Pose wäre, Blurm könnten eine wirklich gute Band sein — aber halt auch nicht mehr Blur.

Am 21.2. pünktlich um 20 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108, Kreuzberg 61

Für das Ego dieser jungen Männer ist das Stadion mit ausreichenden Ausmaßen noch nicht gebaut worden. Die Gunslingers wären gern größer als Guns 'n Roses, und das kommt nicht nur im Namen zum Ausdruck. Solche Menschen nennen ihre Musik selbst gern »Street Rock 'n' Roll«, weil sie glauben, daß Durchschnittsgitarren, 4/4-Takt, Gröhlrefrains und Wichssoli irgendwas Dreckiges an sich haben. Würden die so oft wie ich MTV sehen, würden sie bemerken, daß das Gegenteil der Fall ist. Die Gunslingers glauben auch, daß Whiskeytrinken cool ist, und das Singen übers Whiskeytrinken noch cooler. Nicht daß jetzt der Eindruck entsteht, die Gunslingers wären schlecht: Natürlich beherrschen sie ihre Instrumente. Und zu ihren Idolen fehlt ihnen nicht allzu viel — außer vielleicht der Drogenkonsum und das Sexleben. Die richtige Dosis an Fake-Gefühlen haben sie auf jeden Fall, auch die geschmackvolle Schmachtballade für den Radio-Einsatz. Aber ich kann die Rotze einfach nicht mehr hören, auch weil das »Sexton« inzwischen zur viertbesten Kneipe in meiner Gegend aufgestiegen ist. Trauriges Schöneberg. Am 21.2. um 21 Uhr im H & M, Langhannsstraße 23, Weißensee

Ein hektisches halbakustisches Gitarrengeflicker setzt ein, der Baß klopft ruhig und ausgeglichen, eine weitere Gitarre noist in zweiter Reihe, ein Schlagzeug, das bloß Zusammenhaltefunktion hat, eine Männerstimme, die Deutsch singt. Nicht mehr als das, aber das ist viel in der Bundesrepublik anno 1992. Der Kongreßtänzer bezieht sich explizit auf die letzte Phase deutschen Pops, wo deutscher Pop auch deutscher Pop und nicht nur ein Kaugummi-Abziehbildchen anglo-amerikanischer Vorbilder war. Die Neue Deutsche Welle, das sind für den Kongreßtänzer die Wurzeln, auf denen er aufbaut: Keine Angst vor Schlagerhaftigkeit, keine Angst vor der Muttersprache, keine Angst vor Slogans (»Mach Dir Deine Welt, so wie sie Dir gefällt«), keine Angst, in die falsche Ecke gestellt zu werden. Dazu macht der Kongreßtänzer einen netten, manchmal hektischen, manchmal ruhigen Gitarrenpop, der sich auf nichts direkt bezieht, aber doch allerlei Erinnerungen weckt. Schön, Jungens mit Mut.

Dazu noch Die Sterne, eine Combo aus allerlei Ex- Mitgliedern des hoffnungsvollen deutschen Undergrounds: Kolossale Jugend, Huah!, Calamity Jane u.a. Vielleicht die Zukunft des Deutsch-Pops. Sie behaupten von sich selbst, vom HipHop beeinflußt zu sein. Mich erinnert es eher an Jimi Hendrix (noch mal WahWah). So kann man sich täuschen.

Am 21.2. um 21 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Französischer Pop hat immer das Problem der Muttersprache, weil diese nur zum Chanson passen will und anderen Versuchen immer einen Comic-Charakter verleiht. Im besten Fall wird das positiv verwertet wie bei Les Rita Mitsoukou. Andere wie Mano Negra wählen fremde Sprachen. So eben auch Dazibao, die vor gut zehn Jahren in Paris entstanden. Jamil, Sänger von Dazibao, ist das Kind marokkanischer Einwanderer und singt deshalb folgerichtig in einem marokkanischen Dialekt. Dabei hat diese Tatsache für ihn »keine politische Bedeutung. Damit will ich vielmehr die textlastige musikalische Tradition Frankreichs unterwandern und beweisen, daß das Verständnis der Worte zum Verständnis der Musik nicht nötig ist.« Musikalisch versuchen Dazibao einen Crossover von Garagenrock mit Sixties-Einflüssen und einem marokkanischen Erbteil. In die straighten Rocksongs und ruppigen Balladen mischen sich arabische Melodielinien. Beherrschend bleibt dabei immer die Sprache, die sanft und gurrend, kreischend und zäh sein kann, und vor allem die Stimme von Jamil, der die Möglichkeiten des Idioms zwischen Rezitation und Schrei voll ausnutzt.

Am 21.2. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Wer will schon entscheiden, wer was begonnen hat. Immerhin sind Death die Band mit dem letztgültigen Namen für eine Death Metal-Band. Death ist vor allem Sänger und Gitarrist Chuck Schuldiner, der bereits 1983 — damals zählte er sechzehn süße Lenze — mit seiner damaligen Band Mantas ein Demo mit dem Titel Death by Metal herausbrachte. Möglicherweise ist dies sogar die Geburtsstunde des Genres, auch wenn dieses Demo sicherlich nicht an die blutige Brillanz zeitgemäßen Death Metals heranreicht. Danach hielt es Schuldiner nie lange mit denselben Leuten aus, er selbst blieb bei Death die einzige Konstante. Für die letzte LP Human lieh sich Schuldiner seine Mitmusiker gar von zwei befreundeten Bands aus. Neben den üblichen kollabierenden Speed-Einlagen sorgen Death mit manchmal fast aufreizend lässigen, zurückgelehnten Passagen für Ruhepausen. Textlich hat sich Schuldiner inzwischen vom Splatter verabschiedet, aber gesanglich kotzt er weiterhin und auch nicht schlechter als andere. »Höher, schneller, weiter« ist eben nicht alles, dabeisein ist auch ganz schön. Die zweiten Headliner der Tour, die holländischen Pestilence, fallen übrigens aus. Angeblich wegen eines Streits zwischen den beiden Bands.

Am 24.4. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108, Kreuzberg 61

Weise alte Männer bescherte uns das Musikbusineß in den letzten Jahren mit solcher Hingabe, daß sämtliche Gruften inzwischen leergefegt sein müßten. Die Frauen sind da schon seltener wiedererweckt worden, natürlich auch weil Frauen nicht altern dürfen, oder dies zumindest besser kaschieren müssen (siehe Tina Turner). Bei Maureen Tucker war schon immer alles anders. Damals vor fünfundzwanzig Jahren bediente sie das Schlagzeug bei Velvet Underground einfach nur exakt und monoton. Mehr tat sie nicht — und wurde gerade damit zum Prototyp der Musikerin, die sich nicht in ihrer Eigenschaft als Frau produzieren mußte. 1981, Jahrzehnte, eine Ehe, fünf Kinder und eine Scheidung später, begann sie mit Hilfe von Jad Fair eine Solokarriere. Jetzt, wo sie zurück ist, spielt sie natürlich Velvet Underground, aber längst nicht nur. Wo Velvet Underground kopflastig waren, setzt Moe Tucker noch einen Haufen Müll dazu. Wo John Cale — und vor allem Lou Reed — auf der Suche nach dem letztgültigen Song sind, ist Moe Tucker immer noch an der Destruktion interessiert. Sie macht da weiter, wo Velvet Underground nach der zweiten Platte aufgehört haben. Hier wird zerlegt, nicht zusammengefügt, einzelne große Brocken stehen nebeneinander und werfen Schatten aus einer Vergangenheit, als der Aufdruck »Mono« noch nichts Verwerfliches an sich hatte. Hinzu kommt Moe Tuckers immer noch nicht gereifte Stimme, die zugleich kindliche und altersbedingte Brüchigkeit vereinen kann. Eine Stimme, die einfach nur persönlich ist, jenseits aller Melodie. Vielleicht ist Moe Tucker, gerade weil sie nicht der kreative Kopf von Velvet Underground war, im Vergleich zu Reed und Cale die bessere Sachwalterin des Band-Erbes. Auch wenn Waiting for my Man bei ihr zur zuckersüßen Ballade wird.

Am 27.2. um 20 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108, Kreuzberg 61

Thomas Winkler