Eine Millionärsinsel mit Senioren

■ Bezirke vor der Wahl: In Zehlendorf hat die CDU ihre stramme Mehrheit verloren und muß um den Bürgermeisterposten bangen/ Sprunghaft gestiegener Durchgangsverkehr seit der Maueröffnung

Am 24. Mai werden in Berlin die Kommunalparlamente gewählt. Die taz stellt in einer Serie die Bezirke und ihre Probleme vor. Heute: Zehlendorf.

Wo wohnen in Berlin die meisten Millionäre? Natürlich im grünsten aller Bezirke. Zehlendorf besteht zu 55 Prozent aus Wald, Seen und Parkanlagen. Von den Villenkolonien in Dahlem, Schlachtensee, Nikolassee und Wannsee ist es nur ein Katzensprung zum Segeltörn auf der Havel, zum eigenen Pferd im Reitstall Onkel Toms Hütte oder zum Tennis Club Blau-Weiß. Kreuzberg und Marzahn wirken dagegen wie die Favelas in Rio de Janeiro.

Zehlendorf ist, wie könnte es anders sein, die Hochburg der CDU. Doch mit der satten Mehrheit, die den Christdemokraten lange Zeit einfach so in den Schoß fiel, ist es seit 1989 vorbei. Von ehemals 54,5 Prozent (1985) sackten die Konservativen plötzlich auf 42,8 Prozent ab. Im Gegensatz zu den übrigen Bezirken in West-Berlin verlor die Zehlendorfer CDU aber keineswegs an die rechtsextremen »Republikaner«, sondern an die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB), die damit ihren Platz als drittstärkste Partei festigte. Die WUP ist bereits seit 1974 in der BVV vertreten.

Wenn sich SPD, WUB und AL in der BVV zusammentun, sieht es für die CDU schlecht aus. Die drei Parteien verfügen über einen Sitz mehr als die Konservativen und torpedierten damit schon so manches christdemokratische Vorhaben. Die Große Koalition im Abgeordnetenhaus hinterläßt aber auch in Zehlendorf ihre Spuren: So wurde der unbeliebte Ex- CDU Baustadtrat Ulrich Menzel 1991 schließlich doch noch zum Bürgermeister gewählt, weil sich zwei SPD-Verordnete im dritten Wahlgang der Stimme enthalten hatten. Menzel, der damals in Zehlendorf die Nachfolge des zum Schulsenator gekürten Klemann antrat, ist jetzt CDU-Spitzenkandidat. Für die SPD kandidiert die bisherige Stadträtin für Jugend und Sport, Theda von Wedel, als Bürgermeisterin. »Wir würden gern das alte rot-grüne Bündnis auf kommunaler Ebene fortsetzen«, sagt die Fraktionsvorsitzende der SPD, Christel Rückert. Auch wenn die SPD mit der WUB politisch oft an einem Strang ziehe, hält Rückert die Wählergemeinschaft für eine Fraktionskoalition im Gegensatz zur AL für nicht geeignet. Ihre Begründung: Die WUB sei »eine uneinschätzbare Gruppierung«, weil sie auf Landesebene keine Verantwortung trage und der SPD in manchen Sachfragen zu »konservativ, bürgerlich ausgerichtet« sei.

»Wir sind weder rechts noch links«, wehrt sich der WUB-Verordnete Jürgen Hübner-Kosney gegen diese Beschreibung. »Je nach Sachfrage und Diskussionsstand« sei die WUB zwar bereit, mit allen Parteien zusammenzugehen, die größte Sympathie liege aber ohne Zweifel bei der AL. Der Fraktionsvorsitzende der WUB und Spitzenkandidat bei der kommenden Wahl, Michael Simon, sieht das genauso: »Mit der AL haben wir am meisten gemeinsam« — auch wenn früher eine Zusammenarbeit mit der AL wegen der Rotation schwierig gewesen sei.

»Wir sind Berlins einzige Frauenfraktion«, stellt die AL-Spitzenkandidatin Sabine Schrimpf die jetzige BVV-Fraktion stolz vor, gibt dann aber freimütig zu, daß dies nur dem Umstand zu verdanken sei, daß ein männlicher Kandidat auf seinen Sitz verzichtet hatte. Mit der WUB gehe die AL in vielen Sachfragen wie Verkehr und Umwelt absolut konform.

Das größte Problem in Zehlendorf — da sind CDU, SPD, WUB und AL sich vollkommen einig — ist der Verkehr, der seit der Grenzöffnung und Einheit drastisch zugenommen hat. Der Ortskern von Wannsee und Stolpe ist chronisch von Autos verstopft, weil dies der kürzeste Weg nach Babelsberg ist. Die B1 nach Potsdam ist zur Hauptverkehrsader geworden, und durch die Zehlendorfer Innenstadt bahnen sich rund um die Uhr schwere Laster der südlichen Industriegebiete mühsam den Weg. WUB, SPD und Al wollen das Problem durch eine Busspur auf dem Teltower Damm lösen.

Die CDU ist strikt dagegen: Damit würde sich der Verkehr am Nadelöhr des S-Bahnhofs Zehlendorf nur noch mehr stauen, lautet die Begründung. Aber Tempo 30 in den Wohnbereichen will selbst die CDU inzwischen beibehalten und sich zu Wehr setzten, wenn Verkehrssenator Haase das Gebot in sechs Straßen wieder aufheben will. Des weiteren setzt sich die WUB für eine Erhaltung der letzten Grünflächen am Krummen Fenn und am Buchgraben in Form von Landschaftschutzgebieten ein.

Von großem Interesse für den Bezirk ist auch, was aus den rund 3.000 Wohnungen der US-Army wird, wenn die Alliierten abziehen. Die Wohnungen gehören dem Bund, der auch schon angekündigt hat, diese mit Bundesbeamten belegen zu wollen. Der CDU-Bürgermeister Menzel kündigte bereits an, daß der Bezirk einen zwischenzeitlichen Leerstand nicht hinnehmen werde. Fest steht für Menzel auch, daß Zehlendorf die Schwimmhalle der Amerikaner, sowie die Bücherei, das Kino an der Clayallee und den Truman Plaza für kommunale Zwecke beanspruchen wird. Das Ami-Kino auch deshalb, weil das selbst bei den Innenstädtern beliebte Bali-Kino am Teltower Damm wohl der hohen Gewerbemiete zum Opfer fallen werde, glaubt Menzel. Auf die Frage, was aus dem US-Headquarter werden soll, vermutete Menzel, daß hier die US-Botschaft einziehen werde.

Das rote Tuch ist in Zehlendorf nach wie vor die Havelchaussee. WUB, AL und SPD sind sich vollkommen darin einig, daß die Straße wieder gesperrt werden muß und haben in dieser Hinsicht auch schon viele Anträge in der BVV gestellt. Die Umsetzung scheiterte aber bislang daran, daß das Bezirksamt beim Senat die erforderliche Umwidmung der Havelchaussee im Flächennutzungsplan zu einem Uferweg nicht vorantreibe. »Wir sind gegen jeden faulen Kompromiß und gespannt, wie sich die SPD verhält«, betonte der WUB-Verordnete Hübner-Kosney. Es gehe nicht an, daß die SPD im Bezirk für eine Schließung der Havelchaussee sei und im Senat dagegen. »Dann muß die SPD dem verantwortlichen Senator gefälligst auch das Mißtrauen aussprechen.« Plutonia Plarre

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