Eine Konferenz auf der Suche nach einem Thema

Auf der 2. Europäischen Konferenz „HIV und Homosexualität“ in Amsterdam versuchten die Teilnehmer, eine vernünftige Aids-Politik zu definieren/ Länder mit liberalen, fortschrittlichen Positionen fallen hinter ihre Grundstandards zurück  ■ Von Klaus Lucas

Der spektakuläre Auftakt der 2. Europäischen Konferenz „HIV und Homosexualität“ am vergangenen Wochenende in Amsterdam fiel aus. Ursprünglich hatte Act-up-Amsterdam eine Demonstration gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids bei Behörden und Einrichtungen der Europäischen (EG) geplant. Denn die EG hat in der Vergangenheit als Arbeitgeberin von Stellenbewerbern vor der Festeinstellung immer wieder einen HIV- Test verlangt. Gegen diese Praxis, die auch im Widerspruch zu Empfehlungen der EG selbst steht, richtete sich die Demonstration. Aber Robin Gorna, bei der EG-Kommission für den Kontakt zu den Aids-Selbsthilfegruppen zuständig, nahm den Aktivisten vor Konferenzbeginn den Wind aus den Segeln und erklärte: „Diese Form der Diskriminierung gehört nun auch bei der EG der Vergangenheit an.“

Die Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und -organisationen einerseits und den Veranstaltern andererseits der jährlich stattfindenden Aids-Konferenz sollte so verbessert werden, nachdem es in der Vergangenheit immer wieder Kritik an der mangelnden Einbeziehung von Betroffeneninteressen gegeben hatte. Das ungewohnte Interesse führte dazu, daß die Teilnehmer sich in ihrer Kritik an den Institutionen zurückhielten und zumindest in den Plenarsitzungen kaum die kontroversen Fragen anschnitten.

Liberale Positionen in der Schieflage

Wie eine vernünftige Aids-Politik zu definieren und dann auch noch durchzusetzen sei, war eine der vorherrschenden Fragen der Konferenz. Aber außer einer bloßen Bestandsaufnahme boten die 270 Teilnehmer aus 30 europäischen Ländern keine neuen Ansätze. Dabei hätte diese Bilanz durchaus dazuführen können. So zeigte sich, daß innerhalb der EG bezogen auf Aids von einer „Hormonisierung“ nicht zu reden ist. In Italien müssen Homosexuelle darum ringen, überhaupt als Betroffene der Aids-Krise anerkannt zu werden. Die offizielle Politik klammert sie fast völlig aus, da Homosexuelle — im Gegensatz zu den nordeuropäischen Staaten — im geringeren Ausmaß von Aids betroffen sind. Probleme gibt es in Irland, wo das Werbeverbot für Kondome wirkungsvolle Safer-Sex-Kampagnen verhindert.

Selbst Staaten, die im Ruf einer liberalen Aidspolitik stehen, versagen gelegentlich, wenn es um Aids geht. Hasse Ytterberg, ein schwedischer Konferenzteilnehmer, führte an, daß sich sein „für liberale, fortschrittliche Positionen berühmtes Land“ auf den Lorbeeren dieses Images auch schon mal ausruhe und hinter Grundstandards zurückfalle. So habe Schweden, das seit einiger Zeit Interesse an einem EG-Beitritt bekundet, als einziger Mitgliedsstaat des Europarats die Unterschrift unter eine Empfehlung zum Schutz der Rechte von Menschen mit Aids verweigert.

Das aktuellste Beispiel für eine Schieflage liberaler Positionen lieferte Hans Simonis, Staatssekretär im niederländischen Gesundheitsministerium, der unmittelbar nach seiner Begrüßung der Konferenzteilnehmer in einem Fernsehinterview erklärte, daß die holländische Regierung einen Fonds zur Unterstützung hämophiler HIV-Infizierter bezuschussen wolle. Dieses Vorhaben wurde in der Vergangenheit von Aids-Aktivisten heftig kritisiert, da mit einem solchen Fonds die ohnehin immer weiter um sich greifende Einteilung in „schuldige“ und „unschuldige“ Opfer von Aids weiter zementiert würde.

Das schottische „Hase-und-Igel-Prinzip“

Drängendere Probleme der Aids-Politik der EG wurden außerhalb der Workshops nur als Fußnote erwähnt. Auf Aussagen zu einer einheitlichen EG-Regelung der Zulassung neuer Medikamente oder gleiche Zugangsvorausetzungen für Medikamentenstudien in allen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft warteteten die Teilnehmer vergebens.

„Eine Konferenz auf der Suche nach einem Thema“, so charakterisierte der englische Aids-Aktivist Simon Watney den Verlauf der Amsterdamer Tagung. Tatsächlich litt das Treffen unter einer Diskrepanz zwischen gelegentlich kontroversen Debatten in den Workshops und weniger verbindlichen Beiträgen auf den Plenumssitzungen. Eine Plenarsitzung zum Thema „Spezialisten und Generalisten“ und die Schlußveranstaltung bildeten hier die Ausnahme.

Bruchstellen gab es genug: die unterschiedlichen Erfahrungen und Ausgangssituationen etwa von nord- und südeuropäischen Homosexuellen, der Kontrast zwischen West- und Osteuropa, der — wie es eine Teilnehmerin berichtete — „Mythos von Lesben und Schwulen gemeinsam“ und nicht zuletzt die über allem liegende Frage, welche Verbindung gibt es zwischen HIV und Homosexualität? Der noch vor zwei Jahren auf der ersten Konferenz in Kopenhagen plausibel klingende Titel istlängst nicht mehr so selbstverständlich. Immer wieder wurde deutlich gemacht, daß dieser Zusammenhang gegenüber politischen Entscheidungsträgern und dem wissenschaftlichen Establishment eingeklagt werden muß.

Jeglicher Abgesang auf Aids ist verfrüht

Über sechzig Workshops zu den Themenschwerpunkten Politik, Prävention, Pflege und Wissenschaft wurden angeboten. Der Bereich der Wissenschaft kam dabei etwas zu kurz, insbesondere was die Einbringung von Arbeitsergebnissen in die Plenumssitzungen anbelangte. Anders als beim „großen Bruder“, der Internationalen Aids-Konferenz, überwog der sozialwissenschaftliche Teil gegenüber medizinischen Fragestellungen. Dabei wurde ein breites Spektrum abgedeckt: Untersuchungen zu männlichen Prostituierten und ihren Kunden, Interviewtechniken bei soziologischen Erhebungen, Studien zur Wirksamkeit von Safer-Sex-Kampagnen. Von Michael Bochow wurden zwei Studien aus der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt. Die erste beschäftigt sich mit dem Problem des HIV-Tests und daraus resultierenden Verhaltensänderungen, die zweite Studie beschreibt erstmals die Einstellung der west- und ostdeutschen Bevölkerung zur Homosexualität und untersucht den durch Aids verursachten Einstellungswandel.

Da die Arbeit der Workshops so angelegt war, daß daraus Vorschläge für die inhaltliche Ausgestaltung der 8. Internationalen Aids-Konferenz resultieren sollten, hielt man sich bei der Präsentation im Plenum zurück. Erst auf den beiden letzten Sitzungen wurde diese Zurückhaltung durchbrochen: Neben Unverbindlichem wurde auch einiges benannt, was die Auseinandersetzungen und Strategiedebatten der Zukunft beeinflußt.

Daß Frauen im Aids-Bereich längst nicht mehr Opfer ihres „Helfersyndroms“ sind, sondern zunehmend von Aids wurde von mehreren Teilnehmerinnen in Erinnerung gebracht. Die Zusammenarbeit von Lesben und Homosexuellen ist weder selbstverständlich, noch ist sie konflikt- und problemlos. gegenwärtig ist mehr von Konkurrenz die Rede als von Zusammenarbeit. Eine schottische Teilnehmerin beklagte das „Hase-und-Igel-Prinzip“: Immer wenn Lesben im Aids-Bereich einen Antrag stellen oder eine Position besetzen wollen, ist bereits eine Homosexueller vor ihnen dran.

Simon Watney, seit Jahren einer der profiliertesten Aids-Aktivisten Großbritanniens, warnte schließlich vor dem Eindruck, daß Europa sich bereits in einer Aids-Krise befinde. In Wirklichkeit gehe es momentan noch um die HIV-Epidemie. Diese Unterscheidung besagt, daß jeglicher Abgesang auf Aids verfrüht ist. „Solange es in der pharmazeutischen Industrie und in der Politik Leute gibt, die lebensverlängernde Medikamente als kontraproduktiv betrachten, weil sie glauben, daß Infizierte nichts anderes zu tun haben, als andere anzustecken“, erklärt Watney, „solange können sich Homosexuelle und Menschen mit HIV und Aids nur auf sich selbst verlassen.“