Das Modrige, ins Feierliche gewendet

„Passage“, die Monografie des amerikanischen Fotografen Irving Penn  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Manchmal sind es geringe Verschiebungen, die den Erfolg bestimmter Figuren in den angewandten Künsten ausmachen: Fotografien werden plastischer in ihrer Wirkung oder Zeichnungen flacher; einem Genre, Portrait oder Mode wird etwas mehr Alltag zugefügt oder ausgetrieben.

Der Erfolg des Fotografen Irving Penn, würde man nach kurzem Blättern in seiner 300-Seiten-Monografie Passage sagen, liegt in seiner bodenständigen Klassizität. Aus der Perspektive seiner Generation — Penn ist 1917 geboren — ist das nur halbwahr.

Penn war es, der der Zigarettenasche im Stilleben ihren Platz gab. In der Chefetage der amerikanischen 'Vogue‘, deren damaliger Art Director Alexander Liberman Penn zur Fotografie gedrängt hatte, war man nicht immer glücklich mit derlei Erfindungen. Bis weit in die fünfziger Jahre galt es als keineswegs selbstverständlich, daß ein Mehr an Alltag, ein nonchalanter Hauch von Vergänglichkeit und Flüchtigkeit notwendig waren, um die Sinne des Publikums von Condé Nast in konstanter Erregung zu halten. Der Dissens ergab sich in Details, die an Tabus rührten: Bei Penn sah man gelegentlich die Kabel und Leuchten des Studios im Bild.

Die New Yorker Fotografen waren damals, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ihrer Zeit voraus. Maler wie Rothko und Pollock waren noch damit beschäftigt, den Surrealismus abzuschütteln. Fotografen wie Herman Landshoff, Richard Avedon und Irving Penn nutzten die Chance des Umbruchs, um das Inventar der Modefotografie von Klassizistischem und Barockem zu entrümpeln. Landshoff und Avedon brachten den Alltag ins Spiel und entdeckten seine direkteste Verbindung zur Mode: die Straße. Penn dagegen sah offensichtlich die Figuren — Prominente, die Portrait saßen, und die graden, unnahbaren Models der Mode — als perfekten Ersatz für Früchte und Pelze: er plazierte sie in grauen Räumen mit schimmernden Verläufen.

Entlarvend versteckt

Das entscheidende Erlebnis für Penn ergab sich zu Weihnachten 1948, als er nach Modeaufnahmen allein in Peru zurückblieb. In Cuzco fand er ein Atelier mit Nordlicht und ersetzte für ein paar Tage den ansässigen Stadtfotografen. Hier fand er sein Verhältnis zu Figuren und Licht, das Modrige, ins Feierliche gewendet. Mit dem gleichen, affirmativ-musealen Blick hat er dann die Models in seinem eigenen Atelier mit Hilfe von Röhrenblitzen in Szene gesetzt, und je exotischer die Kleidung (Rochas, Balenciaga), desto überzeugender das Ergebnis. Eine der austauschbaren „markanten“ Schönheiten der fünfziger Jahre, Lisa Fonssagrives, hat Penn geheiratet.

Diese eigenartige Mitteldistanz (von Avedon mit seinen kühnen Portraits deutlich überwunden) ist das Markenzeichen von Penn und seine Grenze. Penn hat — das dokumentiert die Monografie allemal — eine Menge Berühmtheiten getroffen; das 1957er-Portrait Picassos, das dunkle Vogelauge in Bildmitte, ist vielleicht Penns bekanntestes Bild und auch eins seiner besten, weil er auf die pittoreske Birne des Malers nicht hereingefallen ist. Vielleicht glaubte Picasso, er träfe den Fotografen seines Jahrhunderts, und hat sich deshalb so entlarvend versteckt.

Wenn man die Monografie nicht als Querschnitt der Arbeit Penns, sondern als sein „Werk“ begreift, erscheint der Stellenwert des Fotografen nicht mehr so gewiß. Das mag daran liegen, daß man die Fotografien nicht in dem Kontext sehen kann, in dem sie ihre größte Wirkung hatten, in der Illustrierten: Fotografie „profitiert vom Drama der Reproduktion“, wie Liberman im Vorwort schreibt, „von der Spannung ungewöhnlicher Layouts, und die Typographie bewirkt ein übriges an Vitalität.“ Eins der wenigen Beispiele beweist es: Penns erstes Cover für 'Vogue‘ (1.Oktober 1943), ein mattfarbenes Stilleben mit Lederaccessoires und einem Zitronenbild, in das der Schriftzug „vogue“ (noch in kleinen Buchstaben) und die weitere Typografie mit dem Geschick des Illustrators integriert sind. Ansonsten aber setzt das Buch die Fotografien Penns in einen Zustand von Unschuld, in dem sie nie gewesen sind; schließlich weiß ein Fotograf, der jahrzehntelang für Zeitschriften arbeitet, daß seine Arbeit in eine Seitenfolge, in typografische Konzepte eingebunden wird. Passage arbeitet wie ein Sammlerkatalog und imitiert

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die Aura des meisterlichen „prints“, der aufwendig handgefertigten Vergrößerung des Negativs. So wirkt Irving Penns Fotografie noch starrer und betulicher, als sie es im konkreten Zusammenhang ohnehin gewesen sein muß.

Esoterisch geschult

Über rund zwanzig Jahre, von den Endvierzigern bis in die frühen Siebziger, wirkt Penns Zugriff auf Personen und Gegenstände homogen und schlüssig. Seine Ethnologie ist nicht halb so wissensdurstig wie die von Whorf oder Lévi-Strauss und hat nichts von der Intimität Gauguins. Ob er in Südamerika fotografiert, auf Kreta oder in Nepal, er sieht die sorgfältig selektierten Repräsentanten des Fremden als models, die eine esoterische Mode zur Schau stellen. Und während Penn seinen Geschmack für Mode auf diese Weise gewiß schulte (was ihm nicht gefiel, fotografierte er nicht), gab es in der Rückwendung zum einheimischen Fremden — Hippies, Sportlern, Künstlern, Hell's Angels, Rock Bands, Vertretern sterbender Berufe in Paris und London — durchaus keinen gravierenden Zuwachs an imaginärer Kraft, wie man vielleicht hätte erwarten können. Penn betrieb keine Ethnologie des Inlands, sondern er verwandelte seine kollaborierenden Opfer zu Trägern von Accessoires; die Bilder sind um so besser, je mehr die Personen auch Träger von Accessoires waren. Macht man die Gegenprüfung mit der Frage, wie stark die Personen auf den Betrachter wirken, lautet die Antwort, daß es faszinierendere Bilder von Susan Sontag und ihrem Sohn, von Janis Joplin oder Miles Davis gibt als die von Penn. Aber auch Penns Bilder von Davis auf seinem Album Tutu wirken dort stärker als das Stilleben von dessen Hand im Buch. Gegen Ende des Buchs offenbart der Fotograf, was er hätte sein mögen: Maler. Seine „Zeichnungen“ aus den Jahren 1987 und 1988 sehen in der Reproduktion aus wie bereinigte abstrakte Picassos — als Emailleschmuck auf neutralem Grund. Wer will es dem alten Mann verdenken; auch Cartier-Bresson, der Ästhetizist der Straße, hat sich im hohen Alter dem Hand-Werk zugewandt. In der Monografie des Fotografen Penn allerdings haben die gemalten Arbeiten keine Funktion für das Werk; und auch die belanglosen, bunten, flach ausgeleuchteten Modefotografien des vergangenen Jahrzehnts sind verheerende Beispiele der Nebentätigkeit eines Rentners, der es mit den Gewänden von früher hätte bewenden lassen sollen. Die Monografie von Horst P. Horst, vor einigen Monaten im gleichen Verlag erschienen, zeigte ähnliche Schwächen. Natürlich hat es seine Vorteile, mit lebenden Größen Monografien zu gestalten (es gibt keine Erben, die sie mit exorbitanten Forderungen gänzlich unrentabel machen könnten); aber die von später zu Sterbenden selbstgewählten Grabdenkmäler haben ihre bekannten monumentalen Schwächen.

Irving Penn: Passage. Ein Lebenswerk . Mit einem Essay von Alexander Liberman. 468 Abbildungen, davon 71 in Farbe. Schirmer/Mosel Verlag, München, 198 DM.