„Vorübergehende Aktion“ eskaliert

■ Pausenlose Bombardierungen und heftige Bodenkämpfe im Südlibanon/ UNIFIL-Truppenverband von Israelis überrannt/ UN-Sicherheitsrat vergißt die Erwähnung der Täter/ Hizbollah macht mobil

Beirut/Tel Aviv (ap/dpa/afp/taz) — Ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und Verbänden der libanesischen Hizbollah ist bislang nicht abzusehen. Befürchtungen über die Möglichkeit einer Eskalation des Konfliktes konnten während der letzten 24 Stunden nicht ausgeräumt werden. Zwar betont die israelische Regierung den „vorübergehenden Charakter“ der Offensive, während sich die libanesische Regierung bislang eher warnend als drohend verhält. Allerdings hat sie gestern, nach Beratungen in Damaskus, ihren im Mai letzten Jahres mit Syrien abgeschlossenen militärischen Beistandspakt bekräftigt. Syrien hat noch immer 40.000 Soldaten im Nord- und Ostlibanon stehen, scheint bislang jedoch keine Verlegung seiner Truppen in den Südlibanon zu beabsichtigen.

Beirut versetzte nach dreitägigem Zögern gestern allerdings seine Truppen in höchste Alarmbereitschaft. Doch die libanesischen Armeeverbände, die zur Verstärkung in den Süden geschickt wurden, beschränkten sich zunächst darauf, nur vereinzelt mit Gegenfeuer auf die israelischen Luftangriffe zu reagieren.

Milizen der Hizbollah hingegen reagierten mit anhaltendem Katjuscha-Beschuß auf Nordisrael. 13 Zivilisten wurden leicht verletzt. Die Bewohner mußten die vierte Nacht in Schutzräumen verbringen. Der neue Hizbollah-Generalsekretär, Sheikh Hassan Nasrallah, hat seine Anhänger gestern zur Truppenmobilmachung aufgerufen. Er war am Dienstag an die Spitze der schiitischen Organisation gewählt worden, nachdem sein Vorgänger Mussawi durch einen israelischen Hubschrauber- Angriff getötet worden war. Nasrallah appellierte an die libanesischen „Mudschaheddin“, den „Befehlen des Oberkommandos des islamischen Widerstands nachzukommen, damit der israelischen Aggression bestens begegnet werden kann“.

Eine neue Qualität erhielten die Kämpfe gestern auch durch den Vormarsch eines israelischen Panzerverbandes in Richtung der südlibanesischen Stadt Tyros, die außerhalb des israelisch besetzten Gebietes im Südlibanon liegt. Nach Angaben libanesischer Militärs waren etwa 30 Militärfahrzeuge, darunter mindestens zehn Panzer, beteiligt. Israel hat den Vorstoß bestätigt. Man wolle dort die „Abschußvorrichtungen für Katjuscha-Raketen und Terror-Zellen zerstören“.

Ein Verband der UN-Friedenstruppen im Südlibanon (UNIFIL), versuchte erfolglos, den israelischen Vorstoß aufzuhalten. Wie ein Sprecher der UNO-Truppen mitteilte, durchbrach die Panzerkolonne Sperren, die von den UNO-Soldaten aus Schützenpanzerwagen errichtet wurden. Die Israelis seien jetzt dabei, in mehreren Orten südlich von Tyros Stellung zu beziehen. Die Bewohner mußten ihre Dörfer verlassen. Zwei UN-Soldaten wurden durch Schüsse israelischer Soldaten verletzt, einer von ihnen schwer. In der Nähe sind Hizbollah-Milizen stationiert, die sich jetzt mit den israelischen Verbänden erbitterte Kämpfe liefern. Drei israelische Soldaten wurden durch einen Bombenanschlag der Hizbollah getötet, als sie ein Haus durchsuchen wollten, drei weitere wurden verletzt.

Nach Augenzeugenberichten haben auch israelische Hubschrauber und Artillerie die Gegend pausenlos schwer bombardiert. Die Dörfer werden jetzt von israelischen Soldaten kontrolliert. Nach Angaben der libanesischen Polizei gab es bis gestern morgen einen Toten, zwölf Menschen wurden verletzt. Rund 8.000 Bewohner sind geflüchtet. Auch das israelische Artilleriefeuer auf Stützpunkte der schiitischen Miliz Hizbollah in anderen Dörfern nördlich der Sicherheitszone wurde gestern fortgesetzt.

In einer auf Wunsch der libanesischen Regierung einberufenen Dringlichkeitssitzung sprach sich der UN-Sicherheitsrat zwar für die „volle Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Einheit des Libanon“ aus, jedoch wurde Israel in der Erklärung nicht namentlich genannt. Paris hingegen forderte gestern den Rückzug der israelischen Truppen aus dem gesamten Südlibanon.

Trotz der anhaltenden schweren Kämpfe und der weiterhin in israelischer Haft befindlichen beiden palästinensischen Delegierten machten sich die libanesische und die palästinensische Delegation gestern auf den Weg nach Washington. Es werden sich also alle Teilnehmer zur Fortsetzung der bilateralen Nahost-Gespräche am Montag einfinden. N.C.