Alles unter Kontrolle

■ Der gesunde Menschenverstand hat sich längst aus der Arbeitswelt verabschiedet. Unverdrossen bleibt dennoch die Hoffnung, eine neue Technologie könnte endlich alle Probleme lösen. trotzdem ist Skepsis angebracht.

Der gesunde Menschenverstand hat sich längst aus der Arbeitswelt verabschiedet. Unverdrossen bleibt dennoch die Hoffnung, eine neue Technologie könnte endlich alle Probleme lösen. Trotzdem ist Skepsis angebracht. VON HANNA RHEINZ

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m Zeitalter multifunktionaler Arbeitsplätze und a-funktionaler Designs ist es kaum mehr möglich, Geräte mit Knöpfen und Schaltern zu finden, die auch von Sehbehinderten oder Spastikern bedient werden können. Und angesichts der verwirrenden Vielfalt von Zahlen und Symbolen etwa auf dem Display eines Mikrowellenherds oder Videorecorders scheitert nach umständlicher Handbuch- Exegese sogar der lernfähige Mittdreißiger, auf dessen intakte kognitive und motorische Kompetenzen all die vielen „benutzerfreundlichen“ Anweisungen zugeschnitten sind. Was vor PC und High Tech an der Tagesordnung war, im Umgang mit Technik auf Bekanntem aufbauen und eigene Lernerfahrungen weitergeben können, gehört heute der Vergangenheit an. Versagen angesichts einer sich als unfehlbar präsentierenden Technik scheint vorprogrammiert. Scheitert der einzelne über kurz oder lang, aber spätestens mit Erreichen der magischen Altersgrenze an dieser ausgefeilten Technologie, erlebt er dies als selbstverschuldet. Er hat sich als linkisch, gebrechlich oder als notorischer Fehlbediener disqualifiziert. Und weil er bei dieser mörderischen Geschwindigkeit nicht mehr mithalten kann, wird er nunmehr selbst zum Opfer und bleibt auf der Strecke.

Es ist bequemer, den Etiketten zu glauben

Die Suche, ja Sucht nach Perfektion, ist Teil jedes wissenschaftlichen Fortschritts. Daß sich hier ihr potentiell inhumanes Gesicht verbirgt, wird viel zuwenig beklagt. Statt dessen wiederholt sich mit jedem neuen Produkt das Phänomen, das eben Entdeckte zu idealisieren, bis es, zu langsam und simpel geworden, einem perfekteren Modell weichen muß und verschrottet wird.

Diese Struktur technologischer Innovationen führte dazu, daß bis vor wenigen Jahren Politiker und Industrielle ungestraft behaupten konnten, Atomenergie sei sauber und das GAUnfallrisiko liege bei eins zu einer Milliarde und noch vor zwei Wochen Amalgam in allen Legierungen von Sprechern der Zahnärzteschaft als unbedenklich hingestellt wurde.

Die kollektive Abwehr macht vor technologischen Innovationen nicht halt, denn es ist bequemer den Etiketten zu glauben und störende Informationen zu verleugnen, als sich einzugestehen, daß es wieder nicht geklappt hat. Vergleichsweise harmlos war die Erkenntnis, daß die Arbeit mit einem Word Processor keinesfalls papierärmer und ablagensparender ist, wie dem Benutzer zunächst vorgegaukelt wurde, sondern, im Gegenteil, durch das Sicherheitsgebot: Ausdrucken, Kopieren und Vervielfältigen zu einem Mehr an Aufwand bei der Textverarbeitung führte, da neben den Aktenbergen nun auch noch die Diskettenboxen hochgestapelt werden müssen.

Zweifellos gelang es mit den Techniken Bürokommunikation und Zeitmanagement, Routinearbeiten besser zu organisieren. Und was dramatisiert als „Selbstentfremdung“ der ArbeitnehmerInnen durch extrem arbeitsteilige Produktionsweise erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als Gewinn durch größere Flexibilität.

Doch auch hier läßt das Janusgesicht des Fortschritts nicht lange auf sich warten: Routinearbeiten hatten bei Angestellten auch eine seelische Pufferfunktion, dienten sie doch als ungeliebter, gleichwohl sicherer Hafen, wo sich der einzelne, wenn alles andere schief ging, immer noch seine Erfolgserlebnisse holen konnte.

Eigene Dummheit wird zu Unrecht vorgeschoben

In einer Studie zur Einführung der Bürokommunikation gab die Mehrheit der Befragten an, durch die Einführung von PCs und E-Mail habe der Streß am Arbeitsplatz zugenommen. Die Tätigkeit am Display führt nicht nur zu Haltungsschäden, Kopfschmerzen und Bindehautentzündungen, sondern vor allem zu seelischen Verspannungen durch den abnehmenden Kontakt zum Arbeitskollegen. Der FUD-Faktor, eine Art computervermittelter Psychovirus, fordert seinen Tribut: Fear, Uncertainty, Doubt: Überforderung durch undurchschaubare Programme und unberechenbare Reaktionen des Rechners lösen Versagensängste und Hilflosigkeit aus. Bei hochkomplexen Programmen bleibt auch der Fortgeschrittene vom Experten abhängig, doch oft gelingt noch nicht mal ihm, was der Handwerksmeister alter Schule im Handumdrehen schafft: die Fehlerquelle rasch finden, das Problem durch energisches Hämmern an der richtigen Stelle beheben.

Während in der Arbeitswelt der Technik der Anschein erweckt wird, hier sei „alles unter Kontrolle“, fallen die Menschen durch eine Zunahme von Krankheiten auf, die Kontrollverlust variieren: Alkoholismus, Tabletten- und Nikotinabhängigkeit, Sucht nach mentalen Narkotika, nach den vorverdauten und verdummenden Pseudo-Informationen aus Fernsehen und Boulevardpresse, Fettsucht, Bulimie (Freß-Brech-Zwang), Kaufzwang, Risikoverhalten am Steuer und in der Freizeit. Ungeschminkt spiegelt sich hier die innere Befindlichkeit der Konsumgesellschaft wider, der Teufelskreis von Machtwillen und Hilflosigkeit.

Dabei gilt das Gestalten der Arbeit und Arbeitswerkzeuge als protektiver Faktor Krankheiten gegenüber, die durch ein Versagen des Streßabbaus mitverursacht werden. Der Arbeitspsychologe Robert Karasek von der Columbia University erkannte, daß Arbeitnehmer, die hohe Leistungen erbringen, jedoch nur geringe Kontrolle über ihre Arbeit ausüben, ein hohes Risiko tragen, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken. Handlager sterben früher als Entscheidungsträger, denn durch Verantwortung wächst nicht nur die Arbeits- und Lebenszufriedenheit, sondern zugleich wird Streß abgebaut. Je perfekter das System, desto unzulänglicher jedoch erscheint sein Bediener, der für Passivität und Delegieren von Verantwortung noch belohnt wird.

Wie grundlos oft die Selbstanklagen vor dem Display sind, betont der Hamburger Computervirus-Experte Klaus Brunnstein: „Oft schreiben PC-Benutzer ein Fehlverhalten von Geräten und Programmen zu Unrecht und ihrer ,eigenen Dummheit‘ zu, denn sie kennen nicht das erste Gesetz der Datenverarbeitung: ,die Fehlertracht der Softwaren‘.“ Murphys Gesetz gilt heute mehr denn je: Was schief gehen kann, geht auch schief. Zudem gilt „das Prinzip der größten Gemeinheit: Programmfehler treten grundsätzlich zum ungünstigsten Zeitpunkt auf, und sie bewirken größtmögliche Schäden.“ Beim Versuch, den Fehler zu eliminieren, treten neue auf, die nicht selten zu noch fataleren Fehlfunktionen führen.

Mit den hochgeschraubten Erwartungen an das System steigt nicht nur die Delegation von Verantwortung an das Programm, sondern auch die Selbstunzufriedenheit und Passivität.

Viele Unternehmen klagten nach Einführung der Bürokommunikation, den zeitlichen Aufwand für die Einarbeitung ebenso wie die Schulungskosten unterschätzt zu haben. Einmal angeschafft, wird der Betrieb das System nicht mehr los, auch wenn sich die Programme als nur mäßig geeignet herausstellen. Um weitere Verluste zu minimieren, arrangiert man sich lieber mit seinen Unzulänglichkeiten.

Die Grenzen der neuen Technik sind offenkundig

Der gesunde Menschenverstand hat sich längst aus der Arbeitswelt verabschiedet. Und während die Technikeuphorie vereinzelt wieder einer realistischeren Einschätzung Platz macht, bleibt sie als gesellschaftliches Phänomen ungebrochen. Unverdrossen die Hoffnung, eine neue Technologie könnte endlich alle Probleme lösen.

Dabei sind die Grenzen der neuen Techniken offenkundig. So vermag man mit CAD (Computer Aided Design) zwar nach Belieben fantastische Gebäude zu entwerfen, ob sie jedoch den Gesetzen der Statik standhalten, bleibt offen. Denn um das zu prüfen, ist ein Statikprogramm nötig, das erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden kann. Daß Arbeiten am Computer eine andere sinnliche Qualität hat als Zeichnen mit Papier und Bleistift, liegt auf der Hand. Taktile Reize, Bewegungen sind reduziert: Wie dick der Strich ist, kann programmiert, nicht jedoch durch den Druck der Hand beeinflußt werden.

Dieser Verlust des Körpers als Mittel, die Welt zu erkunden und zu verändern, führt nicht nur zu einer Verarmung an Erfahrungen, sie bildet auch einen Bodensatz für Versagenserlebnisse und latenter Wut. Ob die Ausrichtung auf nur einen Sinneskanal, den visuellen, Verschleißerscheinungen fördert und die Unfallgefahr erhöht, ob durch die Legitimierung von Eigeninitiative nicht auch der psychophysiologische Spannungsabbau verhindert wird, wurde bisher nicht systematisch untersucht. Nicht von der Hand zu weisen dagegen ist, daß hier mit einem Naturgesetz der Psychologie gebrochen wird, nämlich der Fähigkeit unseres Organismus, beim Ausfall einer Kompetenz das so entstandene Defizit zu kompensieren, indem automatisch andere Sinneskanäle und Informationswege genutzt werden.

Rechner suggerieren mathematische Präzision. Nur Unfälle erinnern daran, daß Programmierfehler nicht zu eliminieren sind. Verschiebt sich nur eine Stelle hinter dem Komma, sterben Menschen, wie dies bei den radioaktiven Isotop Kobalt-60-„Kanonen“, die zur Behandlung von Tumorkranken eingesetzt werden, geschah, als durch falsche Berechnung den PatientInnen eine zu hohe Strahlendosis verabreicht wurde.

Das Sicherheitsdenken selbst kann zur Fehlerquelle werden, denn die artifizielle Intelligenz zeigt ein anderes Problemlösungsverhalten als die natürliche. Erkenntnissprünge, die auf plötzlicher Zusammenschau unterschiedlicher Informationsfragmente beruhen, können nicht ohne weiteres simuliert werden. Dies führen auch die Kritiker des computergestützten Airbus A320 an, darunter die französische Pilotengewerkschaft, angesichts der drei katastrophalen Abstürze in den wenigen Jahren nach Inbetriebnahme dieses „sichersten Zivilflugzeuges“.

Skepsis ist allemal angebracht, wo nicht menschliche Erfahrung, sondern mathematisches Kalkül das letzte Wort behalten darf. Und während die Gefahren der Eindimensionalität in der Landwirtschaft allmählich erkannt werden und das Ende der Monokulturen naht, scheint das technologische Entwicklungsideal beim selbstgenügsamen Programmautomaten stehengeblieben zu sein. Doch der simuliert lediglich eine Handvoll kognitiver Kompetenzen. Das A und O menschlicher Entscheidungsfindung: Selbstzweifel und Mut, neue Lösungswege zu beschreiben, ignoriert er beharrlich.

Hanna Rheinz ist Psychologin und Autorin in München.