■ AUS POLNISCHER SICHT
: 100.000 Schweyks und ein Stachelhase

Der tschechische Humor und die immerwährende Ruhe, die Literatur, die das Mitteleuropäische am treffendsten wiedergibt, der faszinierende tschechische Kubismus mit seiner erstaunlichen Architektur versetzen mich immer in eine — sicherlich idealisierte — Welt, die die Vorzüge der perfekten Zivilisation (zwischen den beiden Weltkriegen besaß die Tschechoslowakei einen Wohlstand, der damals nicht einmal in Schweden oder der Schweiz vorzufinden war) mit einer meinem slawischen Herzen nahen Mentalität und Kultur verbindet.

Als Pole habe ich genug Gründe, mich gegenüber anderen Nationen schuldig zu fühlen: zuallererst gegenüber den Juden, wegen des zoologischen Antisemitismus, der außer in Rußland nirgendwo so viele prächtige Exemplare auf diese schöne Welt brachte, wie in Polen; dann wegen der Diskriminierung jüdischer Studenten in den dreißiger Jahren; wegen der Erpressung der Gejagten während der Shoa, wegen der Pogrome wie dem 1946 in Kielce, wegen antisemitischer Kampagnen wie der von Gomulka 1968 oder der letzten von Kardinal Glemp und Konsorten.

Auch die Tschechen haben von der Seite der Polen mindestens zweimal in diesem Jahrhundert Unrecht erfahren: 1938, als sich Polen der Naziaggression anschloß und das Gebiet hinter der Olza an sich zog, 1968, als das »Volkspolen« zusammen mit den »Brudervölkern« den Prager Frühling niederwalzte.

Wie reagieren die Tschechen auf so etwas? Diese vorbildlichen Pazifisten sehen sogar ihre Besatzer in einem menschlichen Licht: Eine Foto-Ausstellung, die im letzten Jahr im tschechoslowakischen Kulturzentrum in Bolni gezeigt wurde, stellt die aus der Tschechoslowakei abziehenden sowjetischen Soldaten auf eine lyrisch-sanfte Weise dar, wie man sie von Jaroslaw Hasek kennt. Derzeit zeigt das tschechoslowakische Kulturzentrum eine One-Man-Show von Laco Teren, einem Slowaken, der mit viel Humor und einer frei atmenden Leichtigkeit Plastiken und Bilder schafft, die eine scharfe Trennung von jeglicher sozialen, historischen, weltanschaulichen Verpflichtung manifestieren. Das zentrale Objekt ist hier ein stacheliger Hase, der mit denen von Dürer und Beuys zwar gerne möchte, aber nicht kann — wegen der besagten Stacheln. Der Hase ist lustig, und so bekommt der Zuschauer für die ganze Ausstellung einen vorgegebenen Ton: das — auch von »für« und »gegen« freie — Lachen.

P.S.: In dem nach den Plänen von Franz Kafka (das Schloß) erstellten Botschaftsgebäude der kommunistischen Tschechoslowakei in Berlin/Mitte (derzeit Außenstelle der Botschaft der tschechischen und slowakischen Republik in Deutschland) befindet sich in der repräsentativsten Lobby ein großes Ölgemälde. Nach bester Tradition (seit Hamlet weiß man doch, daß die Tschechei am Meer liegt, auch Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger bestätigen das in ihren Werken) zeigt es das Vaterland des Botschafters in günstigem Licht: als eine Seemacht — das Bild ist ein wunderschönes Stück Marinemalerei. Nach der neulich von der Tschechoslowakei gewonnenen Panzer-Seeschlacht (gegen Syrien im Mittelmeer) fragt man sich, ob das tatsächlich nur ein Witz ist. Piotr Olszowka