Portrait des Künstlers als toter Mann

■ „Bobo“ im Panorama

Die Union ist zerfallen (oder vorerst zumindest umbenannt), alles besinnt sich auf die nationale Identität. Sonderbar, daß ein bescheidener Dokumentarfilm über Sergej Paradshanow — inmitten von Nationalitätenkriegen, Chaos, Gewalt und auseinanderberstender Kinolandschaft — zu einer verzweifelten Botschaft werden konnte. Zur postumen Botschaft eines Filmästheten, der mit einem unbemerkten theatralischen Kunstgestus an die elementare Menschlichkeit appelliert. Der Film Bobo (so lautete der Kosename Paradshanows) stößt zunächst durch seinen Voyeurismus ab: der sterbende Paradshanow wird abtransportiert, eine Meute von Fotoreportern und Kameraleuten filmt gierig sein Sterben, ein paar Ärzte scheinen dabei nur zu stören.

Nach diesem peinlichen Einstieg sieht man, wie dem Toten die Gipsmaske abgenommen wird, eine merkwürdige Operation. Sie wirkt wie ein Bild aus Paradshanows letztem Film, von dem nur 200 Meter existieren — heißen sollte er „Die Beichte“. Das Bild wird gezeigt: ein abgeschnittener Kopf auf einem Teller, eingerahmt von dünnen Altarkerzen. Dazu läuft ein Statement Paradshanows vom Tonband. Nach jenem Drehtag, an dem die 200 Meter gedreht worden waren, hatte er die Aufnahmen zu seiner „Beichte“ abgebrochen: „Meine Kunst braucht niemand“, sagt Paradshanow. „Die Menschen sind in den tierischen Zustand zurückgefallen. Sie benötigen als Kunst wahrscheinlich etwas sehr einfaches, das sie wieder menschlich machen könnte. Niemand braucht meine genialen ästhetischen Übungen. Deshalb lasse ich diese 200 Meter stehen, damit Ihr seht, welch ein genialer, nicht gebrauchter Künstler freiwillig schweigt.“ Sergej Paradshanow wiederholte damit den Gestus seines Helden Sajat Nowa aus Farbe des Granatapfels, der nach einem Massaker aufgehört hatte zu schreiben. Heute spricht über den Krieg, der noch immer Tag für Tag zwischen Armenien und Aserbaidshan „abläuft“, keiner mehr. Mich erinnert an ihn dieser Film, eigentlich das „Porträt des toten Künstlers“. Gemacht haben es zwei seiner jungen Freunde, Nariné Mkrtschian und Arsen Azatian. Oksana Bulgakowa

Nariné Mkrtchian, Arsen Azatian: Bobo. Armenien 1991, 67 Min.

22.2., Atelier am Zoo, 19 Uhr

23.2., Filmpalast, 19 Uhr