Reif für die Robinson-Liste

■ Immer mehr Massendrucksachen verstopfen die Briefkästen

Hamburg (dpa/taz) — Die Reklameflut in deutschen Briefkästen steigt rapide und gegen die Aufkleber „Keine Werbung“ hat die Branche eine wirksame List ersonnen: Den persönlich adressierten Brief. 3,5 Milliarden dieser Massendrucksachen haben Postboten im vergangenen Jahr laut Postauskunft bundesweit ausgetragen — rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. „Sie können Massendrucksachen heute so frisieren, daß sie sich von persönlichen Briefen nicht unterscheiden“, berichtet ein Post-Sprecher. Die oft mit Briefmarken versehenen Umschläge würden nicht achtlos weggeworfen, sondern geöffnet.

Die Zahl traditioneller Postwurfsendungen ohne Adresse blieb 1991 fast unverändert. Insgesamt rund 900 Millionen Stück stopften die Postboten im vergangenen Jahr in alle Briefschlitze, deren Eigentümer sich dies nicht per Aufkleber verbeten hatten. Die Aufkleber, zu deren Respektierung auch die Post durch Gerichtsurteile verpflichtet worden ist, sind jedoch wohl kaum für den Trend zu Massendrucksachen verantwortlich.

Der anonyme „Schuß mit der Schrotflinte“ steigert den Absatz weniger als gezielte Werbung bei kleineren, aber gezielt ausgewählten Personengruppen. Die lassen sich inzwischen per Computer aus Millionen von Adressen paßgenau herausfiltern. So erhalten dann Sozialhilfeempfänger keine Angebote zum Kauf teurer Goldmünzen mehr, und Rentnern wird keine Babynahrung schmackhaft gemacht. Direktwerbung per Brief weist die höchste Steigerungsrate aller Werbeformen aus, berichtet ein Mitarbeiter einer Hamburger Werbeagentur.

Wer sich den täglichen Papierwust ersparen und wie auf einer werbefreien Insel leben will, der kann sich in die sogenannte Robinson- Liste eintragen lassen. Sie wird seit mehr als 20 Jahren beim Direktmarketing Verband in Wiesbaden geführt, in dem sich rund 440 Firmen organisiert haben, die mit Postwerbung arbeiten. Im Vergleich zu den USA aber lebt die deutsche KonsumentIn noch paradiesisch ungestört. Dort nämlich sind inzwischen Schutzorganisationen entstanden, die genervte Bürger vor Werbung per Telefonanruf bewahren. Wahlcomputer und Tonbandstimmen ermöglichen die Kaufanstachelung rund um die Uhr.