Wie rührt mich das

■ Höhenflug des Basler Musik-Theaters: Ausgerechnet mit der „Fledermaus“ — aber dafür von Wernicke

Durch den Direktor Frank Baumbauer ist das Theater Basel zu einer ersten Adresse im deutschsprachigen Raum geworden. Man hat ihn einen „wahrscheinlich idealen Intendanten“ genannt und ihm die Wahl zwischen den großen Bühnen in München, Hamburg und Stuttgart gelassen. Noch ist er in Basel, dieser Manager-Intendant, der selbst nicht inszeniert, sondern namhaften und charakteristischen Regisseuren die Arbeit in seinem Gast- Haus ermöglicht.

Ist Baumbauer im gastronomisch gewordenen Theatergewerbe derzeit der erfolgreichste Wirt, so darf Herbert Wernicke als der attraktivste unter seinen Gästen gelten. Auch Christof Nel hat mit Katja Kabanowa eine überregional beachtete Produktion der Basler Opernsparte geliefert, ebenso Peter Konwitschny. Achternbusch war nebenan beim Sprechtheater zugange, Werner Schroeter und Frank Castorf. Nun wieder Wernicke — und überwiegend mit Sprechtheaterpersonal: angesetzt auf Die Fledermaus.

Die kennen alle. Meinen sie. Diese Johann-Strauß-Operetten mit den wehmütig zurückgenommenen anhebenden Walzern, die sich dann in Champagnerlaune drehen. Über den Gefälligkeiten der Musik ist der Blick dafür verlorengegangen, daß Karl Haffner und Richard Genée, ausgehend von der 1872 von Henri Meilhac und Ludovic Hálevy für Jacques Offenbach verfaßten Komödie La Réveillon, ein Stückchen über die Spekulanten und Bankrotteure ihrer Gegenwart geschrieben haben. Das Höhnische in dem so wundersam dahingleitenden Klang wird so wenig mehr wahrgenommen wie die dem Werk eingeschriebene Kritik und Selbstkritik des „falschen Lebens“, das doch vielleicht das einzig Richtige ist.

Im Grunde, meinte Herbert Wernicke, sei es einfacher gewesen, in Brüssel den Ring des Nibelungen von Richard Wagner auszustatten und zu inszenieren als die so läppisch erscheinende Fledermaus in Basel. Tatsächlich hat er sich, nach der gewaltigen Geschichts- und Kunst-Anstrengung am ThéÛtre Royal de la Monnaie, bei der Strauß-Produktion am Oberrhein gleich wieder ein Äußerstes zugetraut, seinen Darstellern und seinem Publikum zugemutet.

Nur drei Partien wurden von operngeschulten Stimmen bestritten: die Rolle der nicht mehr allseits begehrten Rosalinde von Eisenstein, die im Rachekalkül des Dr. Falke (und für das Gelingen der Operette) entscheidend ist, die ihres zur Kunst drängenden Stubenmädchens Adele und die des daherstreunenden Tenors Alfred. Die übrigen Rollen wurden mit Schauspielern besetzt. Schon dadurch entfernte sich das Unternehmen von verschlissener Operettenhaftigkeit.

Mehr noch durch die Reduktion des Orchesters auf ein Kammer-Ensemble. Franz Wittenbrink, Pianist und Dirigent der Premiere, hatte eine Transkription der Partitur angefertigt. Das neunköpfige Salonorchester bestritt die Ouvertüre mit Verve. Es hielt auch im Folgenden durch seinen transparenten Ton in Erinnerung, daß die Komposition wohl doch sehr viel beser ist als der Ruf, in dem sie mancherorts steht (Nikolaus Harnoncourt zum Beispiel widmet sich ihr immer wieder mit größter Liebe und Sorgfalt). Die ausgedünnte Begleitung trug zugleich dem Umstand Rechnung, daß Schauspieler-Sänger nicht über das Stimmvolumen durchtrainierter Operngrößen verfügen.

Das entschlackte Orchester ließ die enormen Koloraturen, die Strauß seiner Adele zugeschrieben hat, bestens hervortreten, auch die kühle Struktur der Cantilenen von Rosalinde Birgid Steinberger (schlichtweg hin- und herreißend). Auf die Dauer freilich hat der volle Orchesterklang doch hie und da gefehlt. Der Charme der Kaffeehauskapelle verbraucht sich.

Der hohe Ton der Sängerin ist in der Fledermaus ein fast schon wieder eindeutiges Symbol. Adele Elizabeth Parcell stellt es aus. Überhaupt ging Wernicke mit Symbolen bei dieser Produktion wieder sehr pfleglich, beziehungsfreudig, spielerisch und ironisch um. Von Beginn an und bis übers Ende hinaus baumelt eine riesige goldene Taschenuhr (Marke Wien 1874) über den auf der Bühne postierten Musikern.

Die Uhr hat eine Schlüsselrolle im Stück: Sie hat dem keineswegs armen Sünder Gabriel von Eisenstein geschlagen, der für geschlagene acht Tage ins Gefängnis einrücken muß — wg. Beleidigung einer Amtsperson; dies Ührchen dient dem (sich selbst noch einmal Haftverschonung gewährenden) Gabriel als Lockmittel für preiswerte Damen; das goldene Teil wird auf dem „Ratten- Ball“ von jener Maskenträgerin erbeutet, die ihr Inkognito partout nicht lüften möchte — Rosalinde überführt ihren Mann mit dieser Trophäe. Schließlich schlägt's sechs, wenn Gefängnisdirektor Frank im Vollrausch seinen Dienst und Eisenstein nun wirklich seine Haftstrafe antreten will. Das rauschende, sekttrunkene und aus den Fugen gegangene Fest beim Prinzen Orlofski ist aus.

Wernicke hat auch diese Fledermaus in einem einzigen Bühnenbild angesiedelt — wie schon den gesamten Ring in Brüssel und viele andere Stücke zuvor. Eine große Freitreppe führt von der Tiefe des Orchestergrabens in großem Bogen hinaus bis unter den Bühnenhimmel. Da oben wohnt die Frau des Hauses, nach dort oben versucht sich Adele mit ihren strammen Wadln und ihrer kessen Stimme hochzuarbeiten. Von dort muß Abschied genommen werden mit jenem abgründigen „O je, o je, wie rührt mich das“.

Die Treppe signalisiert, daß und wie es mit den Leuten rasch auf und ab geht. Diener Ivan nutzt sie für seinen Running gag. Jürg Löw, der freie Herr Frank, ist der Virtuose im Treppenstolpern und -purzeln. Von den Soprankoloraturen bis zu den Turnübungen auf der Treppe und dem besoffenen Wortsuchen des Gerichtsdieners Frosch: alles sehr artistisch. Und zunehmend in eine leicht surreale Betrachtung der absurden Operettensituationen ausgleitend. Die Majestät wird anerkannt: Herbert Wernicke ist der Operettenmeister. Hier und auch im Nachbarland.

Durch Repetitionen, wie sie zwischen Vollrausch und schwerem schwarzen Kater unterlaufen, kriegt der Regisseur den — bereits vom Stück her höchst inkonsistenten — dritten Fledermaus-Akt auch noch in Stücke. Also: Suff und Katzenjammer selbst werden Wort und Bild. Diese Fledermaus mit ihren eleganten Brechungen und ihren groben Theaterspäßen ist eine jener Produktionen, die den Glauben aufrechterhalten können, das (Musik-) Theater sei doch noch eine lebendige Kunstform. Frieder Reininghaus