In der BRD ist so ein Streik noch Utopie

■ Die Voraussetzungen für einen Streik gegen Rassismus sind in Deutschland nicht gegeben — mit oder ohne Deutsche/ Warten auf die politische Emanzipation der zweiten Generation

Die Ausländer zusammen mit „ihren“ Deutschen im landesweiten Streik gegen Rassismus — diese Vorstellung findet Nguyen Van Huong ebenso bezaubernd wie die Perspektive, für den Rest seines Lebens keine Steuern mehr zahlen zu müssen — und genauso realistisch.

Der gebürtige Vietnamese hat hinlänglich Erfahrungen über den Umgang der Einheimischen mit den Zugewanderten gesammelt. Zuerst als Immigrant und Student in der DDR, jetzt als Mitarbeiter der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John. „Die Mehrheit der Deutschen“, resümiert er nüchtern, „ist und bleibt gegenüber dem Rassismus gleichgültig.“ Und aus seiner Erfahrung in der Beratung vietnamesischer Arbeitnehmer in der Ex-DDR weiß er, daß die, um hier bleiben zu dürfen, viel anstellen würden — bloß nicht streiken.

So unterschiedlich die Ziele und Mitglieder der verschiedenen immigrantenpolitischen Vereine und Institutionen sind, in einem sind sie sich spontan einig: Eine landesweite Aktion von München bis Kiel, von Köln bis Frankfurt/Oder gegen den gesamtdeutschen Rassismus gehört für sie in den Bereich des Utopischen. Im Bonner Büro der Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz- Jacobsen hört man zwar Anerkennung für die Aktion in Schweden — auch für die offensichtliche Solidarität breiter Teile der einheimischen Bevölkerung. „Aber wenn ich daran denke, wie schwerfällig hier auf Hoyerswerda reagiert worden ist“, sagt Pressesprecherin Beate Winkler, „dann kann ich mir solch eine Initiative nur schwer vorstellen.“

„Keine Mehrheit“, sagt kurz und knapp Necati Gürbacca, würde ein solcher Streikaufruf der ausländischen Arbeitnehmer bei ihren deutschen Kollegen finden. Er muß es wissen, schließlich kann der gebürtige Türke auf zwanzig Jahre Erfahrung als Gewerkschaftssekretär beim DGB und der IG Metall zurückgreifen. Gürbacca konstatiert einerseits mangelnde Bereitschaft der Deutschen, den offenen Rassismus im eigenen Land als politischen Skandal zu empfinden. Das habe auch damit zu tun, wie die Deutschen „ihre Ausländer“ wahrnehmen. „Sie sind hier nützliche Objekte vor allem für den Arbeitsmarkt“ — vom Status politisch gleichberechtigter Subjekte aber weit entfernt. Da liege bereits ein großer Unterschied zu Schweden, sagt er, und verweist auf das kommunale Ausländerwahlrecht, daß in dem skandinavischen Land seinerzeit mit den Stimmen der Konservativen verabschiedet wurde. „Vergleichen Sie das mal mit der CDU in Deutschland.“

Andererseits fehlen den Immigranten nach wie vor die Organisationsstrukturen, um auf eigene Faust die Räder zum Stillstand zu bringen — und seien es nur die des öffentlichen Nahverkehrs. „Da“, so Gürbacca, „mangelt es noch an Koordination und Kooperation zwischen den verschiedenen Nationalitäten.“

Für das Streiken im allgemeinen sind die Gewerkschaften zuständig. Doch beim DGB, Abteilung ausländische Arbeitnehmer, ist sich Referatsleiter Leo Monz sicher, daß ein Streik als symbolischer Protest gegen Rassismus noch niemandem in den Sinn gekommen ist — auch nicht den ausländischen Kollegen, die mit bundesweit über 8.000 Betriebsräten zumindest an der Basis ein Machtpotential darstellen.

Das habe wohl mit einer „anderen Streikkultur“ zu tun, glaubt Monz, und mit dem Umstand, daß landesweite, symbolische Aktionen dieser Art in Deutschland eher selten sind — und wenn, dann einer ganz besonderen Motivlage entspringen. Die letzte, an die sich Monz erinnern kann, war die Schweigeminute für den von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer.

Angesichts dieser Diagnosen scheint der Spielraum für Strategien gegen den Rassismus à la Schweden klein. Die einen warten auf eine eigene politische Bewegung der Immigranten — vor allem der Angehörigen der zweiten Generation. Die anderen hoffen auf stärkeren gesellschaftlichen Druck. „Schlimm ist doch, daß hier niemand auf die Idee kam, überhaupt eine größere symbolische Aktion gegen Rassismus zu starten“, sagt Witold Kaminski vom „Polnischen Sozialrat“, einer Lobby- und Beratungsorganisation für Polen in Berlin. Seine Kritik richtet sich gegen die Vertreter der offiziellen Politik und deren Unwillen oder Unfähigkeit, „Signale und Zeichen“ gegen den Haß auf Immigranten und Flüchtlinge zu setzen. Stattdessen flimmern symbolhafte Bilder der negativen Art über die deutschen Bildschirme, zum Beispiel als im letzten Jahr erstmals polnische Staatsbürger ohne Visum nach Deutschland einreisen durften. Kein Politiker hielt es für nötig, die ersten Gäste an der Grenze zu begrüßen. Das Empfangskomitee bildeten stattdessen Neonazis und betrunkene Mitläufer. Kaminski wäre schon froh, wenn, ähnlich wie in Schweden, sich auch in Deutschland Regierungsmitglieder an Demonstrationen gegen Rassismus beteiligen würden. Und bei aller politischen Distanz: Auch über einen Helmut Kohl in den Reihen der Demonstranten würde er sich freuen. „Das wäre wenigstens ein Anfang.“ Andrea Böhm