Zeichen gegen Ausländerhaß

■ Hunderttausende demonstrierten gestern in Stockholm gegen die zunehmende Gewalt gegen Ausländer. 280 Verbände hatten im ganzen Land zu einem einstündigen Solidaritätsstreik aufgerufen.

Zeichen gegen Ausländerhaß Hunderttausende demonstrierten gestern in Stockholm gegen die zunehmende Gewalt gegen Ausländer. 280 Verbände hatten im ganzen Land zu einem einstündigen Solidaritätsstreik aufgerufen.

Freitagmorgen, 10 Uhr. Für eine Stunde steht Stockholm und das restliche Schweden zwar nicht still, aber es ist zumindest anders als sonst. Plötzlich ist Sand im Getriebe. Mancherorts läuft gar nichts mehr. Die Kirchenglocken, die vor zehn Minuten zu läuten begonnen haben, verstummen. überall im Land beginnen Protestkundgebungen. Die Behörden unterbrechen ihre Arbeit, laden zu Kaffee und Keksen aus „Sympathie mit den Einwanderern“ ein. Geschäfte haben das „stängt“-Schild ausgehängt: Geschlossen. Dann, um 10 Uhr 16, die Lautsprecherdurchsage in der U-Bahn: „Hier spricht die Verkehrsleitung. Aufgrund einer Demonstration gegen Rassismus ist bis einschließlich 11 Uhr mit Behinderungen zu rechnen.“ Applaus auf dem Bahnsteig. Eine Gruppe ausländischer Jugendlicher ist auf dem Weg zur Kundgebung vom Verkehrsstopp der U-Bahn überrauscht worden. „Wir sind zu spät losgefahren. Aber es ist ja eigentlich egal, wo wir demonstrieren.“

Mehrere hunderttausend Menschen sind auf Schwedens Straßen unterwegs. Sie folgen den Aufrufen von rund 280 Verbänden, gegen den Rassismus zu demonstrieren. Gewerkschaften, zahlreiche Arbeitgeberverbände und beinahe alle Parteien — die rechtsradikale „Neue Demokratie“ ausgenommen — unterstützen die Aktion in dem Land, das immer noch in dem Ruf steht, eine besonders liberale Einwanderungspolitik zu machen.

Rinkeby, ein Vorort von Stockholm. Eine der Satellitenstädte, die in den sechziger Jahren aus dem Boden gestampft worden waren. Einer mit besonders vielen Bausünden und vielleicht gerade deshalb zum AusländerInnenghetto verkommen. 13.475 Menschen leben hier, davon sind 9.342 AusländerInnen, mehr als 100 verschiedene Nationalitäten. SchwedInnen sind rar. In manchen Grundschulklassen bleiben die Einwandererkinder ganz unter sich.

„Invandrare“, Einwanderer, sind sie in der offiziellen Sprachgebung. Doch viele von denen, die schon lange hier leben, fühlen sich als Einheimische. „Wir sind alle Schweden“ ist an diesem Tag auch auf Transparenten zu lesen. Doch die Vorgänge der letzten Monate haben dazu geführt, daß immer mehr „Invandrare“ sich eher wieder als AusländerInnen fühlen.

Der übliche Ausländerhaß, alltäglich in Wandschmierereien, Anmache am Arbeitsplatz, in der Schule und auf der Straße, ist plötzlich eskaliert. Das häßliche Worte „Svartskallar“ (Schwarzköpfe) geht um. Seit letztem Herbst müssen die ImmigrantInnen die Angst ums nackte Leben haben. Besonders in Einwandererghettos wie Rinkeby. Elf Anschläge, gezielt, um Menschen zu töten, die nicht die „richtige“ Hautfarbe und keinen schwedischen Namen haben. Nach der Empörung über die letzten dieser Anschläge entstand die Idee zu einer Protestaktion am 21.Februar, dem Anti-Rassismus-Tag der UNO: Ein einstündiger Streik aller AusländerInnen und derer, die sich diesen zugehörig fühlen.

Es ist mehr aus dieser Aktion geworden. Eine allgemeine, staatlich und am Arbeitsplatz abgesegnete Kundgebung des Antirassismus. Die Vereinnahmung hat das Zeichen, das gesetzt werden sollte, nicht stärker gemacht, sondern verwässert.

Hier in Rinkeby hat dieser 21.Februar vermutlich noch am ehesten etwas von seinem ursprünglich beabsichtigten Charakter gewahrt. Es überwiegen die Stimmen und Plakate, die über das „Mach meinen Kumpel nicht an“ der anderen Kundgebungsorte hinausgehen: „Schluß mit Rassismus und Faschismus.“ Oder: „Die Verharmloser morden mit.“ Die Angst, die hier alltäglich geworden ist, wird ein Stück greifbar. Angst und Wut werden zwar auch nach dem heutigen Tag nicht verschwinden, aber zumindest können sie einen gemeinsamen Ausdruck finden. Zwei Opfer der letzten Anschläge kennt hier jeder: Hassan, zusammengeschossen in einem kleinen Laden im Vorort Hägersten. Isa Ayban, lebensgefährlich getroffen in seinem Würstchengrill in Djursholm. Nach Rinkeby selbst haben sich die Mordschützen nicht getraut, aber Rinkeby haben sie getroffen. Von einem „Verrückten“ spricht die Polizei, hier glaubt jeder an eine Organisation, die geplant Terror ausüben will.

Hamza Erdal, in Ankara geboren und seit 1976 in Rinkeby, versucht die richtige Balance zu finden. Doch, er ist nach wie vor stolz, „Rinkebyer“ zu sein, will Anschläge und Ausländerhaß nicht überdramatisieren, will auch in Zukunft das T-Shirt tragen „Rinkeby — världens by“ (Rinkeby — die Weltstadt): „Aber es geht mir wie vielen. Ich habe das Gefühl, Schweden nicht mehr zu kennen. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die sich abends gar nicht mehr auf die Straße trauen, aber auch ich habe Angst. Plötzlich herrscht hier Ausnahmezustand für alle, die nicht schwedisch genug aussehen.“

Hamza erinnert an die Kinder, die jetzt Fragen stellen, die so schwer zu beantworten sind: „Sie wollen, daß wir etwas machen, aber wir sind hilflos. Sind wir hiflos?“ Und er spricht vom neusten Anschlag am Mittwoch, als drei Kinder aus Tensta auf dem Schulweg beschossen wurden.

Mehrfach wird aber auch eine Hoffnung laut. Nicht die der aufgesetzten Art, wie sie die Einwanderungsministerin Birgit Friggebo versuchte, als sie vor zwei Wochen eine Gruppe von AusländerInnen aufforderte, „We shall overcome“ zu singen. Das hier ist kein plötzlich und unerklärlich aufflammender Rassismus, der schnell wieder verschwindet, wenn man nur inbrünstig genug singt und neue Aufklärungsbroschüren in den Schulen verteilt. Es ist die Frucht einer jahrelangen Politik. Es ist das Mitreiten auf einer Stimmungswelle gegen AusländerInnen und Flüchtlinge. Die Hoffnung, die hier und da laut wird, ist die eines neuen Anfangs.

Vielleicht wird dieser 21.Februar später einmal als Wendepunkt bekannt. Als Datum, an dem PolitikerInnen, Medien und die breite Öffentlichkeit endgültig wach geworden sind. Von dem an Ausländerhaß und Rassismus nicht mehr als harmlose Dumme-Jungen-Streiche abgetan worden sind. Wo die PolitikerInnen gemerkt haben, daß es mit dem Anstecken der gelben „Rör-inte-min kompis“-Hand nicht mehr getan ist. Das „Wie?“ wird nicht beantwortet — auch hier in Rinkeby nicht. Kein Patentrezept, aber ein Traum. Plötzlich fällt tatsächlich ein Zitat aus der „Black-Power“-Bewegung der USA. Nicht: „We shall overcome“, sondern Martin Luther Kings „I had a dream!“ Reinhard Wolff/Luise Steinberger, Stockholm