ZWISCHEN DEN RILLEN

■ VON KLEINEN UND GROSSENN BLUESLEGENDEN

Sie klagt wie das ferne Pfeifen einer Lok, wie die nächtlichen Rufe aus den Sümpfen des Mississippi-Deltas. Sie kreischt schneidend und aggressiv wie die Hochbahn über dem Großstadtdschungel. Sie wispert voll gehauchter Zärtlichkeit und schreit voll hitziger Erregung eines Liebespaars. Schwarze Musiker aus den USA machten die handliche Hohner-Mundharmonika aus dem schwäbischen Trossingen zum — neben der Gitarre — wichtigsten Instrument des Blues: zur blues harp, zur mouth organ.

Zwei Cracks dieses Instruments haben jetzt neue Platten vorgelegt: Charlie Musselwhite und James Cotton. Musselwhite gehört zu einer Gruppe von weißen Musikern, die in den sechziger Jahren in den Clubs der Chicagoer Southside bei den schwarzen Stars einstiegen. James Cotton machte seine ersten Aufnahmen Ende der vierziger Jahre mit Howlin Wolf, spielte später zwölf Jahre mit Muddy Waters und ist seit rund zwanzig Jahren mit eigenen Bands unterwegs. Musselwhite bläst melodiöser, beweglicher und nervöser als Cotton, der kürzere Phrasen vorzieht, rhythmischer und schärfer ist, fest im call & response-Schema des Blues verwurzelt. Immer noch hört man aus seiner harp die seines Lehrers Sonny Boy Williamsons heraus. In Stücken mit den Gitarristen Matt Murphy und Luther Tucker erinnert Cotton an die Zeiten von Muddy Waters, mit Hubert Sumlin und Titeln wie Moanin At Midnigt an den rauheren Sound von Howlin Wolf. Stormy Monday ist eine liebevolle Referenz an T-Bone Walker. Cottons tiefe, leicht heisere und schon altersschwere Stimme ergänzt die Harmonika ideal. Ein ausgereiftes Blues-Kompendium. Musselwhites Gesang ist leichtgewichtiger, die Balance zwischen Stimme und Instrument unausgewogener. Eine Spur Hektik durchzieht den Set seines Quartetts. Das ändert sich im letzten Stück. Im Duett Cheatin On Me beschwören Gaststar John Lee Hookers raunende Stimme und düsteres, archaisches Gitarrenspiel pure Blues-Magie.

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Buddy Guy zählt zu den lebenden Legenden, obwohl er erst der zweiten Generation der Chicagoer Blues-Musiker entstammt. Damn Right, I've Got The Blues beweist seine Ausnahmestellung. Guy singt expressiv und abwechslungsreich. Trotz seiner Showmanship bleibt er dabei immer sensibel auf den Text bezogen. Sein Spiel vereint Elemente der beiden großen Stilisten der elektrischen Bluesgitarre. Manche Verzerrungen in der Tonbildung und hartes Anreißen der Saiten lernte er von Muddy Waters. Die glockenklaren Einstiege, die delikaten und dynamisch nuancierten, mit wohlgesetzten Pausen gegliederten Soli weisen auf B.B. King zurück. Auch in über achtminütigen Stücken wie Five Long Years umspielt er die üblichen Bluesklischees elegant. Alles in allem: Buddy Guy ist der beste zeitgenössische Bluesmann.

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Warum die Holmes Brothers keine Stars sind, hört man leicht: Ihnen fehlen die starken eigenen Songs. Warum aber diese solide Soulgruppe, die seit zwanzig Jahren in New York zusammenarbeitet, bis 1989 überhaupt keine Chance für eine Platte bekam, bleibt ein Rätsel. Wendell Holmes kehlige Stimme und Popsy Dixons Falsett bringen rauchige Clubatmosphäre ins Wohnzimmer. Gitarre, Baß und Schlagzeug lassen die Füße tanzen, die Finger schnalzen. Gut, daß die Holmers Brothers sich in den zwei Jahrzehnten nicht frustriert und resigniert abgearbeitet haben, sondern Spaß und Spielfreude retteten. Nur selten schleicht sich routinierte Behäbigkeit ein. Den Soul und Rhythm & Blues der Sechziger modernisieren der dazugemixte, geschliffene Bläsersatz und gelegentliche Tenorsax-Soli. Am stärksten sind die Brüder in Neuinterpretationen bekannter Songs: der Sam Cooke-Ballade That's Where It's At, Tommy Tuckers scharfen High Heel Sneakers und Hank Williams' I Saw The Light, dessen Country & Western-Flair auch in ihrer wilden Gospel-Interpretation durchklingt.

Der Film Die Commitments hat einen kleinen Soul-Boom ausgelöst. Sein Charme liegt nicht zuletzt im Kontrast zwischen dem wilden Haufen der MusikerInnen und dem musealen Sound der Dubliner Band. Die Holmes Brothers könnten von dem neuen Interesse profitieren. Sie sind — auf Tonträgern — die lebendigere Alternative zum Film-Soundtrack.

Charlie Musselwhite: Signature . Alligator/ I.R.S. 971903

James Cotton: Mighty Lon Time . Antone/ I.R.S. 974175

Buddy Guy: I've Got The Blues . Silvertone ZL74979

The Holmes Brothers: Where It's At . Zensor ZS 118

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