Herz auf Zunge

■ Ula Stöckls Deutschlandlied

In deutschen Filmen trägt man derzeit Herz auf Zunge. Es regiert das gesprochene Wort. Schamlos werden Allgemeinplätze, Binsenweisheiten und Klischees umgesetzt — und als der Weisheit letzter Schluß kredenzt.

Ula Stöckl macht keine Ausnahme. Weil Das alte Lied diesmal von deutschen Befindlichkeiten handelt, wird zur Einstimmung aus dem Off das Lied der Deutschen gesungen, dazu über einen Fluß geschippert. Bis eine ältere Dame mit geschmackvoller Pelzkappe ins Bild fließt. Katharina (Lotte Meyer) ist 69, rechthaberisch und kehrt nach 40 Jahren aus Hamburg in ihre Heimatstadt Dresden zurück. Im Schlepptau hat sie Bruder Rudolf (Rolf Dietrich), Enkelin Sofie und deren Vater Karl, der gelähmt ist und nicht sprechen kann. Oma Katharina will das Haus und die große Liebe Alf wiederhaben. Obwohl Alf ihre Schwester Ilse eigentlich viel lieber mochte.

Wenn Menschen aus Ost und West zusammentreffen, gibt es selbstredend Meinungsverschiedenheiten. Also deklamieren ProtagonistInnen ungelenk Dialoge, in denen die Worte Sozialismus, Kapitalismus, Demokratie vorkommen. Noch anschaulicher wird das innerdeutsche Gefälle im direkten Vergleich. West-Enkelin Sofie ist, mit topmodischer Nieten-Lederkacke und Videokamera hochgerüstet, in Dresden unterwegs. Alfs (Ost-)Enkelin, die nie spricht und Wollpulli trägt, streift mit dem Fotoapparat durch die Ruinen. Damit die Szenen wirklich trist wirken, erbarmen sich Geiger lautstark im Hintergrund.

Das alte Lied will nicht nur die deutsche Gegenwart bebildern, sondern auch die Vergangenheit der Personen kritisch beleuchten. Erinnerungssplitter werden als Rückblendenschnipsel zwischen die Handlung montiert. Meist aber sprechen die ProtagonistInnen im Sitzen, Liegen oder Laufen über das Vergangene. Das Memorierte soll allmählich das Gezeigte und Gesehene infragestellen. Schlichte Erkenntnis im dunklen Kinosaal: „Die“ Wahrheit ist immer nur subjektives Konstrukt des deklamierenden Subjekts.

Dennoch gibt Ula Stöckl sich erdenklich Mühe, das filmische Geschehen in Richtung Vexierspiel zu drängen. Irgendwann erhebt sich der gelähmte Karl aus dem Rollstuhl. Filmsplitter von einer Frau im roten Kleid durchkreuzen immer wieder die Handlung. Ist das Ilse, die Alf geliebt hat und von Katharina kurz vor Ende des Kriegs denunziert wurde? Es gibt also doch noch Geheimnisse, die man mit ins Grab nehmen darf. Und Filme, bei denen die Auflösung nicht interessiert. Michaela Lechner

Ula Stöckl: Das alte Lied. Mit: Lotte Meyer, Alfred Lübke, Rolf Dietrich. Deutschland 1991, Farbe, 82 Min.

Forum. 24.2., Akademie der Künste, 17 Uhr