Unbetäubt

■ Japanische Filme über Liebe, Sex und andere Schicksalsschläge

Zwischen Leben und Tod steht im japanischen Kino eine unerfüllte Liebe. Sterben, so scheint es, ist eine Angelegenheit des Herzens, die immerhin das Versprechen einer herbeigesehnten Vereinigung einlöst. Dem Tod auszuweichen bedeutet, der Liebe zu entfliehen und Qualen der Sehnsucht auf sich zu nehmen. Wenn sie zu groß werden, entladen sie sich manchmal unvermittelt. Dann ist Liebe Schmerz, Peinigung, Tod.

Neun Jahre lang hat die Gräfin ein Geheimnis bewahrt. Jetzt leistet sie im Operationssaal dem Chirurgen, der sie operieren soll, ein ungewöhnliches Geständnis: Sie will sich ohne Betäubung in seine Behandlung begeben und beteuert, daß sie den Schmerz nicht fürchte, solange es seine Hand ist, die das Skalpell führt. Die scharfe Klinge ritzt die Haut ein. Blut tritt hervor. Mit einem Schrei beugt sich die Patientin nach vorn, blickt den Arzt an und rammt sich dann seine Hand mit dem Skalpell in die Brust. Der Tod der schönen Dame. Heimlich hat sie den Arzt geliebt. Jetzt hat sie ihn wenigstens berühren dürfen. Das genügt.

Die Geschichte von Gekashitsu — Das Operationszimmer ist pures Konstrukt, eine Hymne an die wahre Schönheit. Wie bezaubernd die Gräfin ist inmitten der Pracht blühender Azaleen. Wie strahlend ihr Antlitz glänzt unter dem weißen Himmel der Mandelblüte. Gräfin Kifuné — ein Stilleben und eigentlich kein Mensch von Fleisch und Blut. Tamasaburo Bando, einer der wichtigsten Darsteller von Frauenrollen im japanischen Kabuki-Theater, inszeniert in seinem ersten Film die tragische Schönheit von Liebe und Tod wie eine Meditation, in der die Schönheit jedoch etwas zu schön wirkt, um glaubhaft zu sein.

Um eine unmögliche Liebe geht es auch in dem Film Skinless Night von Rokuro Mochizuki. Ein Pornofilmer entdeckt sein Gewissen. Wie in Trance taumelt der Porno-Regisseur Kayama durch eine künstliche Welt, die er sich eingerichtet hat. Alles ist Simulation. Der Koitus, das Stöhnen, der morgendliche Abschiedskuß von seiner Frau. Sogar das Simulierte ist nur als Simulation zu sehen — über die Monitore der Studiokameras. Im Garten der Lüste gibt es keine Versuchung mehr. Als Kayama ausbrechen will und nach seiner Jugendliebe zu suchen beginnt, findet er zwar zu seiner Vergangenheit zurück. Doch sein Versuch, ein ernsthaftes Drehbuch zu schreiben, scheitert.

Der Film ist einzigartig, weil er auf seine Weise ehrlich bleibt. Mochizuki entstammt selbst der Pornofilm-Produktion. Er hat bisher rund 120 Softpornos für den Kino- und Videomarkt gedreht. Ihm ist nicht an einem Credo für den Autorenfilm gelegen oder an der Demontage der Pornofilmindustrie. Indem er nur zeigt, wie es zugeht, überläßt es Mochizuki dem Zuschauer, den bizarren Verhältnissen nur Abscheu oder auch humorvolle Seiten abzugewinnen. Seine autobiographisch angelegte Figur, der Regisseur Kayama, ist kein Held des seriösen Kinos. Er wird nicht als unentdeckter Künstler dargestellt, der nur darauf wartet, seine Chance als ernstzunehmender Regisseur zu bekommen. Nach seinem Ausflug in die Welt des Mainstream-Kinos kehrt er wieder zum Porno zurück.

Japan ist nicht gleich Japan, darauf legen drei junge Filmregisseure von den Okinawa-Inseln großen Wert. Pineapple Tours will die Leute von Okinawa zeigen, wie sie sich selbst sehen — eine kleine, unabhängige Produktion gegen die Dominanz der Filmindustrie auf der Hauptinsel. Der Film erzählt drei Episoden, die von verschiedenen Regisseuren stammen. Verbindungsthema der Teile ist eine Bombe, die ein amerikanischer Pilot im Zweiten Weltkrieg auf Okinawa abgeworfen hat, ohne daß sie explodierte. Die Bombe ist jetzt von großem Interesse — eine Opernsängerin sucht sie, weil sie einer Weissagung zufolge erst wieder von ihrer Stimmlosigkeit geheilt wird, wenn sie die Bombe findet. Eine groteske Jagd beginnt. In dem Film purzelt alles durcheinander — Riesen-Ananas aus Pappmachee, Kriegsveteranen, die noch in Bunkern hausen, Taxi-Fahrer, die herausgefallene Autotüren mit sich herumtragen. Eine magical Slapstick- Tour zu einer Gottheit, die leider nur ein Blindgänger ist. Christof Boy

Tamasaburo Bando: Gekashitsu, Japan 1992

Rokuro Mochizuki: Skinless Night, Japan 1991

Makiya Tsutomu/Nakae Vuji/Toma Hayashi: Pineapple Tours, Japan 1992

24.2., Babylon, 23 Uhr 20