Im Kern faul

■ Corneaus „Tous les matins du monde“ im Wettbewerb

Woody Allen hat laut „Nouvel Observateur“ herzlich gelacht, als ihm sein Interviewer erzählte, welcher Film in Frankreich zur Zeit am besten läuft: Alain Corneaus Tous les matins du monde — ein Film über einen Gambenspieler im 17. Jahrhundert. In ein paar Wochen hatten über eine Million Franzosen einen Film besucht, in dem ein alter Mann um seine verblichene Frau trauert und Gambe spielt, um, wie einst Orpheus, ihr Bild heraufzubeschwören, in dem seine beiden schönen Töchter eigentlich auch nur Gambe spielen, wenn sie nicht einfachen häuslichen Verrichtungen nachgehen.

Frankreich hat halt immer noch das offenste und interessierteste Kinopublikum der Welt. Tous les matins... ist ein Riesenerfolg, der vorgestern abend auch noch mit dem César — dem französischen Oscar — zum „besten Film des Jahres 1991“ gekrönt wurde. Aber er wäre wohl kaum zustande gekommen, wenn nicht Depardieu-Sohn und Depardieu-Vater mitspielen würden.

Die Berlinale hat Tous les matins du monde „ausnahmsweise“ in den Wettbewerb genommen — als Ersatz für Vitalij Kanevskis zurückgezogenen Film Ein selbständiges Leben, und obwohl er, wider das Reglement, schon in Drittländern ausgewertet wird. Ist die Ausnahme gerechtfertigt? Ist Tous les matins ... tatsächlich so viel „besser“ als Léos Carax' Les amants du pont neuf, Jacques Rivettes La belle noiseuse oder Maurice Pialats Van Gogh, die bei der César-Verleihung leer ausgingen?

Wohl kaum. Im Kern ist der Film faul — lieblos und geschönt. Die meisten Szenen wurden in einer Holzhütte aufgenommen, wo der alte Mann Gambe übt. Die Gambe aber ist mit Hall versehen, als übte er in einer Kirche. Daß das Instrument rauh, kratzig und trocken klingt, daß die Schönheit des Tons dieser Rauhigkeit erst abgerungen werden muß, und zwar, ohne daß sie je ganz verlorenginge, lügt dieser Film hinweg. Das wäre zu wahr — und welches Publikum liebt schon Wahrheit? Auch gibt es einen Unterschied zwischen De Niro und allen Depardieus der Welt: Wenn de Niro einen Saxophonisten spielen soll, dann lernt er vorher Saxophon. Die Depardieus begnügen sich mit vagen Gesten. Keiner der Schauspieler in Tous les matins ... hat ein Verhältnis zum Instrument. Fast immer sind ihre Hand- und Körperbewegungen asynchron zur Musik. Das seien Nebensachen, sagen wohlmeinende Besucher des Films, über die man hinwegsehen könne. Finde ich nicht. Ich denk', es geht um Musik in dem Film? thc

Alain Corneau: Tous les matins du monde. Mit: Jean-Pierre Marielle, Anne Brochet, Gérard und Guillaume Depardieu. Frankreich 1991, ca. 90 Min.