Die neuen Sklaven

■ In Bremerhaven wurden in einem Frachtcontainer 61 indische Flüchtlinge entdeckt

Die neuen Sklaven In Bremerhaven wurden in einem Frachtcontainer 61 indische Flüchtlinge entdeckt

Wie in den Zeiten der Sklaverei“, entfuhr es einem Fernsehkommentator. Das „Sklavenschiff“ war in diesem Fall ein Frachtcontainer, fast luftdicht verschlossen, der für die blinden Passagiere, indische Flüchtlinge und Immigranten, auf ihrem Weg ins gelobte Amerika fast zum Sarg geworden wäre. Offensichtlich wollte er mit diesem scheinbar so abwegigen Vergleich ein wenig Betroffenheit beim abgehärteten TV-Publikum schinden. Doch hat der Mann — vielleicht unfreiwillig — den Nagel auf den Kopf getroffen.

In Großbritannien leben nach Angaben der Organisation „Anti-Slavery-International“ mindestens 3.000 Menschen aus Südostasien, die sich, ausgestattet mit einem Besuchervisum, als Hausangestellte bei reichen Engländern oder Diplomaten verdingen. Sie sind von ihren Arbeitgebern vollkommen abhängig und werden oft entsprechend behandelt: Sie dürfen das Haus nicht verlassen, nicht telefonieren, keine Post empfangen, erhalten oft nicht einmal genug zu essen. In den USA blüht seit wenigen Jahren das Geschäft mit illegal eingereisten Chinesen, die ihre Schlepperprämie von bis zu 50.000 Dollar über mehrere Jahre hinweg abarbeiten müssen.

Die Grundlage für die moderne Form der Leibeigenschaft haben die westlichen Staaten durch ihre Abschottungspolitik bereits geschaffen. Denn der Handel mit Menschen floriert vor allem deswegen, weil sich die Regierungen Westeuropas und Nordamerikas in konjunkturfördernden Maßnahmen gegenseitig überbieten: Je undurchlässiger die Grenzen, desto größer der Bedarf an Schleppern; je höher die Zäune, desto höher die Preise, die ein „Illegaler“ zu zahlen bereit sein muß; je restriktiver die Gesetzgebung gegen illegal eingereiste Ausländer, desto größer deren Abhängigkeit von Schmugglern, Vermittlungsfirmen und Arbeitgebern. So gesehen, ist die Ausrufung einer Festung Europa oder Amerika eine Fiktion. Die Nachfrage nach den neuen Sklaven Europas und Nordamerikas ist da. Sie werden gebraucht als Hausangestellte, als Prostituierte, als illegale Ernte- und Fabrikarbeiter. Sie werden ebenso gebraucht wie die gut ausgebildeten, qualifizierten Immigranten, für die englische, französische oder deutsche Statistikämter in den letzten Monaten immer wieder Bedarf angemahnt haben.

In Europa und in Nordamerika gibt es wieder eine neue Form der Leibeigenschaft — mit dem Unterschied, daß die Menschen nicht mehr aus ihrer Heimat verschleppt werden müssen, sondern sich aufgrund der Verhältnisse in ihren Heimatländern „freiwillig“ auf den Weg machen — sofern man hier überhaupt von Freiwilligkeit sprechen kann. Was noch auf sich warten läßt, ist die politische Lobby zur Abschaffung der neuen Sklaverei. Andrea Böhm