„Bin ich Deutscher, bin ich D-Mark“

Warum den Deutschen Europa noch nicht deutsch genug ist/ Gauweiler in Allianz mit Augstein und der Deutschen Bundesbank zur Rettung der deutschen Identität  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

EG — nein danke? Nie war die Zeit so günstig, dem großmächtigen Monster den Garaus zu machen. Schließlich haben Bundestag und Bundesrat 1992 die einmalige Chance, die Ratifizierung der Maastrichter Verträge abzulehnen und damit den EG-Prozeß auf unbestimmte Zeit, vielleicht sogar auf immer zu stoppen. Jahrelang hatten Grüne, Linke, Autonome in ungewöhnlicher Solidarität — erfolglos — das Europa der Kapitale beschimpft. Jetzt drischt plötzlich alles, was pekuniär-national fühlt, nach dem Motto „Bin ich Deutscher, bin ich D-Mark“ auf die arme Europa ein. Seit über dreißig Jahren tourt die Handlungsreisende in eigener Sache nun schon auf ihrem Stier über den alten Kontinent. Kaum jemand hat sich in dieser Zeit an ihren Ambitionen gestoßen, geschweige denn für sie interessiert. Und nun, wo sie sich anschickt, ihr tausendfach angekündigtes Vorhaben wahrzumachen, ertönt dieses Geschrei gespielter Empörung: Die Europäer würden zu „identitätslosen Menschen“ degradiert, geifert der Adlatus des Münchener CSU-Matadoren Gauweiler, die DM werde Europa geopfert, beklagt Spiegelchef Augstein, es müsse im Bereich der politischen Union nachgebessert werden, fordern die Putschisten in der bundesdeutschen Identitätszentrale.

Überzeugend klingen alle drei. Dennoch ist die Empörung gespielt, weil die „Kritiker“ mit der von ihnen geschürten Angst um die DM nicht die längst überfällige Diskussion über EG-Europa in Gang bringen wollen, sondern jeweils ihr eigenes wahldienliches Süppchen kochen. Außerdem hilft es allemal der deutschen Sache, der sich besonders der Zentralrat der Bundesbank verschrieben hat. Dort gibt man sich jedoch im Unterschied zu anderen Kanzleien und Redaktionen keinen Illusionen darüber hin, wie weit der europäische Integrationsprozeß schon fortgeschritten ist — zu weit, als daß er ohne einen gigantischen Verlust wirtschaftlicher wie politischer Art wieder zurückzudrehen wäre.

Nichts liegt den Stabilitätshütern also ferner. Der vielfach angekündigte „Rückfall Deutschlands auf sich selbst“ ist nicht geplant — zumindest nicht in den Zentralen finanzieller und wirtschaftlicher Macht. Dort ist man aber unzufrieden mit Kohls Verhandlungserfolg in Maastricht. Die Germanisierung Europas hätte der Bundeskanzler seinen elf Kollegen im Austausch für die DM abtrotzen sollen — einen europäischen Bundesstaat nach deutschem Vorbild mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik.

Da kommt das Geschrei der heimischen Europa- Gegner gerade recht. Als Bündnispartner dienen die deutschen Volks- und Ländervertreter. Weil es auf EG- Ebene an Demokratie mangele, müßten die Bundesländer stärker in Brüssel vertreten sein und das Europaparlament mit mehr Rechten versehen werden. Weder das eine noch das andere führt automatisch zu mehr Demokratie. Eine Übertragung des deutschen politischen Systems auf Europa verschleiert lediglich die allgemein desolate Situation der parlamentarischen Demokratie.

Deutschland diskutiert Europa, welch ein Novum! Den Eurokraten steht die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Die eitle Freude ist jedoch nicht ungetrübt: Schließlich sollen sie jetzt deutsch lernen und womöglich — gleich abteilungsweise — nach Bonn umziehen.