Südamerika biedert sich dem Norden an

■ Auf der Unctad-Konferenz verlassen die lateinamerikanischen Staaten die Positionen der Dritten Welt

Cartagena (ips/taz) — Während auf der Unctad-Konferenz im kolumbianischen Cartagena weiter um die Definition eines neuen Entwicklungskonzepts gerungen wird, entfernen sich die lateinamerikanischen Länder zunehmend von den Positionen der Dritten Welt. Immer deutlicher schenken die Vertreter Mittel- und vor allem Südamerikas beim achten Treffen der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung auf einen pragmatischen, an den Positionen der Industrieländer orientierten Kurs ein. Von Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die in den 70er Jahren den Nord-Süd-Dialog dominierten und von der „Gruppe der 77“, dem Forum von 128 Entwicklungsländern vehement eingeklagt werden, war in den lateinamerikanischen Stellungnahmen in Cartagena nichts mehr zu hören.

Kaum geht es in einigen Staaten Lateinamerikas wirtschaftlich aufwärts, wollen sie von Solidarität mit den Ärmsten dieser Erde nicht mehr viel wissen. Ihre Hauptsorge besteht nun darin, den ökonomischen Aufschwung der letzten Zeit durch geeignete internationale Rahmenbedingungen abzusichern. Im Vorjahr betrug das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der Region drei Prozent. Die horrende Auslandsverschuldung, in den letzten 20 Jahren das alles beherrschende Problem des Kontinents, wird von den Delegationen kurzerhand beiseite geschoben. Heute setzen die meisten lateinamerikanischen Regierungen auf Marktliberalisierung, Abbau der Subventionen und Privatisierung, um die Schuldenfalle zu überwinden.

So kritisierte auf der Unctad-Konferenz der ständige Sekretär der Organisation Lateinamerikanisches Wirtschaftssystem (Sela), Salvador Arriola, die Überbewertung des Schuldenproblems. Andere vitale Fragen wie die Begrenzung des Devisenabflusses, der verbesserte Zugang zu den Märkten der Industrieländer, die Entwicklung der Weltmarktpreise und die Förderung verarbeitender Industrien würden dadurch vernachlässigt, so Arriola. Deutlich wurde die neue pragmatische Linie auch durch den Beitrag des chilenischen Staatssekretärs für Handel. Aufgabe der Unctad sei es, die Eingliederung aller Staaten in den Welthandel durch Anpassung an die Weltmarktbedingungen zu unterstützen, erklärte der Delegierte. Schützenhilfe erhielt der Chilene dabei vom Präsidenten des Gastgeberlandes, Cesar Gaviria. Gaviria ging sogar noch einen Schritt weiter und attackierte die Industrieländer wegen ihrer Weigerung, auf die Öffnung der lateinamerikanischen Volkswirtschaften mit entsprechenden Schritten zu reagieren. Lateinamerikas Staaten würde auf Liberalisierung setzen, um das Schuldenproblem in den Griff zu bekommen. Über kurz oder lang würden auch die übrigen Entwicklungsländer dieser Politik folgen, prognostizierte Rodriguez.

Der Vorsitzende des venezolanischen Außenhandelsinstituts, Miguel Rodriguez, bestätigte die Gegensätze zwischen Lateinamerika und anderen Entwicklungsländern. Es handle sich im Kern um unterschiedliche Prioritäten, erklärte Rodriguez lapidar. Währdend die ärmsten Länder schlicht ums Überleben kämpfen müssen, glauben vor allem die Schwellenländer Südamerikas, Anschluß an den reichen Norden zu finden.

Einig waren sich die Lateinamerikaner in ihrer Forderung nach einem befriedigenden Abschluß der Uruguay-Runde des Internationalen Handels- und Zollabkommens (Gatt), der bisher durch Differenzen über die Subventionspolitik der Industrieländer blockiert wurde. Ohne Streichung der europäischen Agrarsubventionen und Beseitigung der Handelshemmnisse würden sich die in der Cairns-Gruppe zusammengeschlossenen Agrarproduzenten einem Abschluß der Runde widersetzen, warnte der uruguayische Delegierte Julio Lacarte. Dabei waren es vor einigen Jahren ausgerechnet die reichen Industriestaaten, die den Lateinamerikanern vorwarfen, durch Protektionismus und staatliche Stützungen den Welthandel zu verzerren.

Die neuen Thesen, die seit einiger Zeit aus Lateinamerika zu vernehmen sind, stehen im Gegensatz zu den Beschlüssen der G-77 bei ihrem letzten Treffen vergangenen November in Teheran. Im Schlußdokument des Treffens wurden noch die traditionellen Forderungen der Dritten Welt bekräftigt, so etwa die Reduzierung der Außenschuld, die Erweiterung des allgemeinen Präferenzsystems und die Einrichtung von Ausgleichsfonds zur Stabilisierung der internationalen Rohstoffpreise. Obwohl das Forum der Entwicklungsländer zugleich auch Konzessionen an Forderungen der Industrieländer wie Freihandel und Sparmaßnahmen der Regierungen machte, haben die G-77-Forderungen unter den reichen Staaten bisher wenig Widerhall gefunden.

Doch auch von den ärmsten Entwicklungsländern (LDC), deren Liste auf nunmehr 47 Staaten angewachsen ist, sind in Cartagena neue Töne zu vernehmen. Einige Staaten wollen mit Reformen wie die Ankurbelung des Außenhandels durch verstärkte Exporte und Dezentralisierungsmaßnahmen ökonomisch Fuß fassen. Ob diese Strategie erfolgversprechend sein wird, bezweifeln viele Experten; sie halten es für notwenidiger, zunächst die inneren Märkte mit Hilfe der Entwicklungsgelder zu regulieren. Die sich abzeichnende Akzeptanz des marktwirtschaftlichen Modells auch in den Dritte-Welt-Staaten dürfte jedoch in erster Linie aus Resignation zustande gekommen sein. Allein die LCD-Gruppe, in der fast ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt, sitzt inzwischen auf einem Schuldenberg von über 100 Milliarden US-Dollar; allein der Schuldendienst beläuft sich auf 5,6 Milliarden. Um die Kapitalbedürfnisse dieser Länder zu decken, müßte die internationale Hilfe bis zum Jahr 2000 auf über 50 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Derzeit beträgt die offizielle Entwicklungshilfe lediglich rund 13 Millairden Dollar. Doch von einer Steigerung der Hilfe ist die Staatengemeinschaft auf der Unctad-Konferenz genausoweit entfernt wie von dem vielzitierten neuen Entwicklungskonzept (sustainable development), das auf ökonomische Reformen, Einhaltung der Menschenrechte und „good government" setzt. es