PORTRÄT
: „Einfach ist das nicht, mich loszuwerden“

■ Die Berlinerin Barbara John ist die dienstälteste Ausländerbeauftragte der Bundesrepublik

Berlin (taz) — Stellvertretend für alle Ausländerbeauftragten der Länder und Kommunen haben am Samstag zehn Frauen und Männer den diesjährigen Theodor-Heuss-Preis entgegengenommen. Die Vergabe stand unter dem Motto: „Das vereinte Deutschland demokratisch gestalten — Rechtsextremismus und Ausländerhaß überwinden“. Eine der Ausgezeichneten ist Barbara John.

Am liebsten wäre sie unsichtbar. Aber das ist nicht so einfach. Denn schließlich ist sie nicht nur groß und kräftig gebaut, sondern auch Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin. Und das macht es schon schwerer, im Verborgenen zu bleiben auch wenn ihr Credo lautet: „Tue das Richtige, aber rede nicht drüber.“. Barbara John ist die dienstälteste Ausländerbeauftragte dieser Republik — seit mehr als zehn Jahren im Amt. Eine versierte Veteranin, eine „Unbeugsame“, sagen die einen, „zu biegsam“, behaupten die anderen.

Auf jeden Fall ist sie ein Profi, trittfest auf den mit Fallstricken gespickten Pfaden der Bürokratie. Eine absolut notwendige Tugend, um den anderen Behörden — Ausländeramt und Innensenat — Paroli bieten zu können. Denn Kompetenzen hat die Ausländerbeauftragte keine. Was braucht sie Weisungsbefugnis, wo sie doch „nur“ integrieren soll?

Ihr Büro in Berlin-Schöneberg arbeitet mit 25 MitarbeiterInnen und einem Etat von 13 Millionen. Es fördert Beratungsstellen und deutsch-ausländische Begegnungstreffs, startet öffentliche Aktionen gegen Ausländerhaß und Gewalt, berät und hilft im Einzelfall.

„Ich liebe die Verwaltung überhaupt nicht“, gesteht die CDU-Frau „aber sie bietet Spielräume, um im Einzelfall zu helfen. Nur die hab' ich zur Verfügung, und in ihnen kann ich mich tummeln.“ Und wenn sie sich dann so tummelt — bei einer Schüler-Preisverleihung letzte Woche zum Beispiel — scheint sie die richtige Frau am richtigen Ort zu sein. Ganz in grauem Tuch und ohne Make-up ist sie unscheinbar aber ständig präsent, schenkt eigenhändig Kaffee aus und hat nebenbei noch ein Auge für ein Fernsehteam und ein Ohr für die Probleme eines Türken, der neben ihr steht.

„Türken-Bärbel“ nennen sie ihre Parteifreunde spöttisch — aber nicht von ungefähr. „Ich bin sehr viel mit türkischen Berlinern zusammen. Sie sind die größte Gruppe, da ergibt sich das so“, erklärt die 54jährige. Daß andere der 341.000 Ausländer in Berlin sich weniger von ihr repräsentiert fühlen „habe ich noch nie gehört“, sagt sie und nestelt an ihrer Goldrandbrille. Doch wenn man bei Polen und Arabern nachfragt, kann man es deutlich hören. Der „Polnische Sozialrat“ ist seit November 1989 nicht mehr gut auf Barbara John zu sprechen. Damals versuchte SPD-Innensenator Paetzold, alle Angehörigen aus Ostblockstaaten ohne festen Job rauszuschmeißen. Die Weisung wurde zwar geändert — das sei aber nicht das Verdienst von Frau John, behaupten die Polen. „Bei Arabern ist sie nicht beliebt“, verkünden muslimische Gruppen und führen das auf Erfahrungen im Golf-Krieg zurück. Wegen Saddam Husseins Terrordrohungen wurden in Berlin Razzien in arabischen Wohnungen durchgeführt. Frau John war empört, sagte es aber nach Meinung der Betroffenen nicht laut genug. „Was hat es für einen Sinn“, fragt die Schutzpatronin der Ausländer, „wenn ich lautstark etwas anprangere, aber damit nichts erreiche?“ Und sie erzählt, wie sie sich zu Beginn im Amt die Finger verbrannt hat. Nachdem Richard von Weizsäcker die Bezirksverordnete in Kreuzberg „ausgebuddelt“ hat (O-Ton eines CDU-Abgeordneten) und sie 1981 als erste Berliner Ausländerbeauftragte installierte, dachte sie zu offen über miese Praktiken der Ausländerbehörde nach. „Am nächsten Tag war die Leitung zum Amt tot. Und da habe ich mich gefragt, warum ich hier eigentlich sitze.“ Seitdem übt sie die „konstruktive Kunst des Einmischens“, vertritt nur noch „abgestimmte Konzepte“, sucht Verbündete.

Und das ist der Blonden mit den blauen Augen in den letzten zehn Jahren durchaus gelungen. Der Senat wechselte: von schwarz-gelb über rot-grün zu schwarz-rot — Barbara John blieb. „Hartnäckig bin ich ganz sicher, aber auch hartnäckige Menschen verlieren ihre Ämter. Doch ich bin eine normale Verwaltungsangestellte. Und einfach ist das nicht, so jemanden loszuwerden.“

Das hatte die AL, als sie in Berlin Politik machte, vehement versucht. Bei den Koalitionsverhandlungen 1989 setzte sie sich mit ihrem „Antirassistischen Ressort“ durch. Frau John sah nach Ansicht der Alternativen die Ausländerprobleme zu sehr auf der zwischenmenschlichen, zu wenig auf der politischen Ebene. Sie sollte weg. Aber die SPD dachte nicht daran, ihr Koalitionsversprechen einzuhalten, verzögerte den Aufbau des Ressorts, hielt die alte Ausländerbeauftragte im Amt. „Überrascht hat mich das Verhalten der AL nicht“, sagt die Christdemokratin. Ihre Stimme bleibt ruhig, aber fast nebenbei ballt sich ihre Faust. „Die damalige AL war in diesen Fragen sehr ideologisch. Dazu gehörte, daß jemand mit CDU-Mitgliedsbuch keine vernünftige Integrationspoltik machen kann. Diese Feindbilder lehne ich total ab.“ Und auch den Begriff „Rassismus“. „Deutschland ist kein Land mit einem breiten Rassismus. Es gibt nur einzelne Rassisten, aber ich sehe keine rassistischen Strömungen.“

Wenn sie an die damaligen Auseinandersetzungen denkt, verstärkt sich die Falte auf ihrer Stirn, der Mund wird schmal. Vielleicht erinnert sie sich daran, daß nicht nur die Alternativen ihr 1989 einen Fußtritt gaben. Gleich nach der für die CDU verlorenen Wahl kickte ihre Partei sie aus dem Landesvorstand. Angeblich hatte sie den „Republikanern“ Schützenhilfe geleistet, indem sie gegen deren ausländerfeindliche Wahlkampagne Anzeige erstattet hatte. „Nein, ich hab das damals nicht als Strafe empfunden“, meint sie und stopft die Hände in die Taschen ihrer Rockes.

Zu Diepgen hat sie ein „Null-Verhältnis“ (O- Ton aus der CDU), mit allen Innensenatoren ihrer Amtszeit gab es Reibereien, der Bundestagsabgeordnete Lummer rief sie zur Ordnung. Aber nach außen dringt von diesen Querelen nicht viel. Die gebürtige Berlinerin macht ihre Arbeit — 60 Stunden in der Woche — zäh, stoisch. Familie hat sie keine, auch kein Haustier: „Das wäre ja Quälerei bei meinem Arbeitstag.“ Ländliches mag sie, und eine gewisse Hemdsärmlichkeit zeigt sie auch in ihrem Berliner Büro. Wenn sie mal Ferien hat, geht sie Bergsteigen in Bayern.

Der Stein, den Sisyphus den Berg hinaufrollt — immer wieder, weil der Stein immer wieder hinunterrollt —, ist ihr ein vertrautes Bild. Einen Stein, den sie jetzt ins Rollen bringen will, ist die Reform des Ausländergesetzes. Sie kritisiert die integrationsfeindliche „Grundphilosophie“, die starren Nachzugsregelungen, die Schwierigkeiten der Einbürgerung selbst bei Ausländern der dritten Generation. „Wir können kein Land der offenen Grenzen sein, aber wir sind ein Zuwanderungsland.“ Die will sie aber durch Quoten begrenzen.

Auch in der Asyldebatte wird sie sich bei ihren Parteifreunden keinen Blumentopf abholen können. Den Artikel 16 des Grundgesetzes „will ich gewiß nicht abschaffen“, verkündet sie. Aber ist es nicht ihre Partei, die das Grundgesetz mit allen Mitteln ändern will? Da flüchten die Augen der CDU-Frau zu irgendeinem Punkt in ihrem Büro und sie fängt an zu stottern, als würde ihr der Widerspruch erst jetzt bewußt: „Das weiß ich nicht, wie die Parteimeinung dazu ist.“

So ist sie wohl: Konflikte vermeiden, wo immer es geht. Aber wenn sie mal da sind, hält sie sie aus. Leise, hart, resistent. Mit viel Arbeit im Hintergrund und viel Erfolg, wenn sie sich für einzelne Menschen einsetzt. Typisch weibliche Verhaltensweisen an einem unspektakulären, für karriereorientierte Männer unattraktiven Platz. „Unspektakulär? Ja, ist das nicht schön? Find ich wunderbar. Genauso will ich arbeiten.“ Bascha Mika