Widerstand ist witzig, fantasievoll, fintenreich

Am 22.Februar 1977 wurde Gorleben als Standort für das „Nukleare Entsorgungszentrum“ erkoren, und aus braven Bauern, Dorfhonoratioren und Landadeligen wurden konspirative Bürgerinitiativler  ■ Aus Gorleben Gabi Haas

„15 Jahre Gorleben“ — ein Jubiläum, das man auch mit einer mahnenden Gedenkfeier hätte begehen können. Doch es sollte eine rauschende Ballnacht werden. Das Geburtstagskind fand im großen Saal der Trebeler Bauernstuben statt, einst Schalt- und Informationszentrale der Anti-Atom-Bewegung. Auf jenen Brettern, auf denen sie während ungezählter Blockaden und Platzbesetzungen mit dreckverklebten Stiefeln und tropfnassen Parkern Rat gehalten hatten, tanzten die Veteranen des Widerstandes am Sonnabend in Frack und Abendkleid.

Dabei war der 22. Februar 1977, als Gorleben zum Standort für das Nukleare Entsorgungszentrum erkoren wurde, für die Lüchow-Dannenberger alles andere als ein Freudentag gewesen. Wie ein Hurrikan war die Nachricht damals durch die verschlafenen Nester in Lüchow-Dannenberg gefahren, hatte den ganzen Landkreis aufgewirbelt und kräftig durcheinandergeschüttelt. Wer in diesen Sog geriet, wurde unweigerlich mitgerissen. Aus braven Bauern, Dorfhonoratioren und Landadeligen wurden über Nacht konspirierende Bürgerinitiativler, die sich — umstellt von Spitzeln und Chaoten — in hektischen Vorbereitungen für eine Großdemonstration wiederfanden. Nur wenige Wochen nach den blutigen Schlachten von Brokdorf und Grohnde war das für sie ein ungeheuerliches Unterfangen.

So steht der 22. Februar 1977 nicht nur für die Angst vor dem Atom, sondern auch für den Beginn des Gorlebener Widerstandes, der — zumindest in den ersten Jahren — fast so etwas wie eine erotische Ausstrahlung besaß und inzwischen aus dem kulturellen Geschehen im Wendland nicht mehr wegzudenken ist. Da waren die ersten stürmischen Jahre der Großaktion und politischen Erfolge: der Treck nach Hannover von Hunderttausenden bejubelt, Albrechts Rücknahme des geplanten Entsorgungszentrums, die Freie Republik Wendland, die vier Wochen lang eine ganze Nation in Atem hielt und die Tiefbohrungen in den Gorlebener Salzstock doch nicht stoppen konnte, neue Pläne für eine WAA in Dragahn, die wegen der anhaltenden Proteste wiederum fallengelassen werden mußten.

Der eigentliche Erfolg der Gorlebener Widerstände, das Geheimnis seiner Beständigkeit aber liegt begründet in den unzähligen kleineren Aktionen, witzig, fantasievoll und fintenreich, durch die die Atombetreiber und ihre Politiker auf immer wieder überraschende Weise an der Nase herumgeführt wurden. Sei es das Damenkränzchen, das die Straße zu den Atombaustellen auf Plüschsesseln mit Strickzeug, Teetassen und Spitzendeckchen blockierte, oder die weißgedeckte, 60köpfige Frühstückstafel, die die Bautrupps an einem frühen Wintermorgen vor dem Eingang zum Zwischenlager im Kegel ihres Scheinwerferlichtes entdeckte. Die Besetzung des Grenzstreifens zwischen DDR-Grenze und Stacheldrahtzaun, sogenanntes Niemandsland, das weder die Grenzsoldaten von diesseits noch von jenseits zu betreten wagten, die von Handwerkern gezimmerte Leiter, die im LKW eines Bio-Bauern wie in einem Trojanischen Pferd zum Zwischenlager geschaffen wurde und mit deren Hilfe die Platzbesetzer die mit Stacheldraht und Wachtürmen bewehrte Festungsmauer in aller Seelenruhe übersteigen konnten, oder der Schauspieler, perfekt getarnt als Akzeptanzforscher Gollwin, der auf einer Bürgerversammlung dem bedrängten Vertreter der Atomindustrie scheinbar zur Seite sprang, ihn tatsächlich aber vor einer johlenden Menge als Hanswurst präsentierte.

Natürlich kamen auch die Rückschläge, zermürbende interne Auseinandersetzungen — und die große Müdigkeit. Während die Betreiber unverdrossen die Zwischenlager bauten, am Endlager weiterbastelten und Pläne für eine neuartige, gefährliche Atomfabrik in Gorleben — die Pilotkonditionierungsanlage (PKA)— entwarfen, wurde es stiller um die Gorleben-AktivistInnen. Nach Jahren ständiger Aktionen und Aktionsbereitschaft kümmerten die Ortsgruppen der Bürgerinitiative immer mehr dahin, die eigentliche BI-Politik wurde nur noch im Vorstand gemacht.

Doch neben der Bürgerinitiative ist im Wendland inzwischen ein weitverzweigtes Netz von privaten Zirkeln, politischer und künstlerischer Initativen entstanden, die den Widerstand wahrscheinlich stärker verbindet und ihm größere Ausdruckskraft verleiht, als es irgendeine politische Organisation vermag. Die „Initiative 60“ (der Sechzigjährigen) gehört dazu, ebenso wie die Christen, die sich im Trebeler Forst regelmäßig zu den „Gorlebener Gebeten“ treffen, oder die Gruppe der Künstler, die mit den „Wunde-r-punkten“ zu Pfingsten jedes Jahr ein aufsehenerregendes Kulturfestival auf die Beine stellen. Und genau deshalb, so meinen die verbliebenen BI-AktivistInnen, lohne es sich auch, die Strukturen ihrer Organisation am Leben zu erhalten, damit sie im entscheidenden Moment noch funktioniert. Solche Momente, bei denen innerhalb kürzester Zeit blitzschnell mehrere 100 Leute wieder auf der Straße standen, hat es in der letzten Zeit zur allgemeinen Verblüffung immer wieder gegeben. Erinnert sei nur an die Platzbesetzung beim PKA- Baubeginn vor zwei Jahren oder an die tagelange Blockade der illegal anrollenden Atomfässer aus Mol im letzten Sommer — ein Vorfall übrigens, für dessen Veröffentlichung ebenso wie bei dem jüngsten Leck im Gorlebener Salzstock die BI und nicht die rot-grüne Landesregierung sorgte. Der Einzug der AtomgegnerInnen in die Parlamente, die Beteiligung an der Regierungsverantwortung in Hannover und — seit der vernichtenden Niederlage der CDU in Lüchow-Dannenberg bei den letzten Kommunalwahlen — auch im Lüchow-Dannenberger Kreistag und in den Samtgemeinden, kennzeichnet eine entscheidende Zäsur im Gorlebener Widerstand. Früher fetzten sich die BIlerInnen über die Einmischung von Auswärtigen, Autonomen und Militanten. Jetzt zerreißt es sie fast im Streit über die möglichen Abwiegelungsmanöver der niedersächsischen Grünen im Würgegriff der SPD. Während die einen den für seine harte Gangart gegenüber Hannover bekannten Pressesprecher Wolfgang Ehmke einen „Verbalradikalisten“ schimpfen, wird der sanfter gestimmten BI-Vorsitzenden Susanne Kamin von anderen vorgeworfen, einen „Schmusekurs“ zu fahren. Daß die rot-grüne Landesregierung in Sachen Atomausstieg in den letzten anderthalb Jahren kaum etwas bewegte, darüber kann man sich noch einigen. Doch woran liegt's: am alten unfähigen Verwaltungsapparat, wie die Genossen beschwören, oder an der Unfähigkeit oder gar fehlendem politischen Willen der Regierung selbst, wie in BI- Kreisen wohl die meisten glauben?

Die Alt-BI-Vorsitzende Marianne Fritzen bringt es auf den Punkt: „Wenn sie Kritik verdient, muß Rot- Grün sie genauso zu spüren bekommen wie die Albrecht-Regierung.“ Sie hat es vor ein paar Tagen wiedermal bewiesen: Im Rat der Lüchower Samtgemeinde, wo sie als Grünen- Abgeordnete das Zünglein an der Waage spielt, sorgte sie für einen Eklat: Gemeinsam übrigens mit Susanne Kamin (und mit der CDU) brachte sie den von der SPD aufgestellten Haushalt wegen der immer noch enthaltenen Gorleben-Millionen zu Fall. Die Sozialdemokraten jammerten daraufhin, die BI-Frauen seien schuld am Scheitern einer neuen Anti-Atom-Politik der SPD.