Auf dem Abstellgleis

■ »Der Hanullmann«, ein Einmannstück über Modellbahnen, Überväter und Entgleisungen mit Matthias Herrmann

Grüß Gott, meine lieben Modelleisenbahnfreunde! Ich darf Sie ganz herzlich zu unserer Feier anläßlich des 50. Geburtstages des Modellbahn e.V. begrüßen und freue mich, daß Sie so zahlreich gekommen sind.«

Na grüß Gott, das kann ja heiter werden. Der Würzburg-Import Roland Apellmann alias Matthias Herrmann aus Schwedt an der Oder stottert ein Verlegenheitsstottern, mimt den nervösen Vereinsredner und lenkt im Grunde nur das Lampenfieber, das den Schauspieler Herrmann befallen hat, für diese Zwecke um. Der verklemmte Vereinsredner mit Krawatte und potentiellen Schweißhänden weiß noch nicht so recht, wie er die »lieben Modelleisenbahnfreunde« als geneigte Zuhörer gewinnen kann. Also versucht er's mit der lockeren Tour, gibt seinen Lieblingswitz zum besten. Haha.

Ich weiß, das soll Satire sein — aber die bleibt auf der Strecke, denn auch der Schauspieler mit den winzigen Schweißperlen auf der Stirn hat Schwierigkeiten mit seinem Publikum. Wie gut, daß wahre Freunde und Verwandte unter den Theaterbesuchern sind, die zur rechten Zeit lachen. Auch über den Lieblingswitz. Bloß der Nichteingeweihte versteht irgendwie nur Bahnhof. Wo bitte hängt der Fahrplan, wohin soll dieser Zug uns führen?

Die Hanull-Freunde werden, tönt Appelmann, heute die Gelegenheit haben, Neues und Informatives über die AnM zu erfahren. Er setzt zu einem Vortrag an, gewidmet seinem Vater, seinem Vorbild, dem verdienten Modelleisenbahner des Vereins. Die AnM — was anderes sollte sich dahinter verbergen als die »Absolute naturgetreue Maßstabsgerechtigkeit«? Na klar doch. Langsam dämmert's. Es geht nicht nur um die Männer, die großen Kinder, die auch zwischen den Christbaumzeiten ihre Männlichkeit auf acht Quadratmetern Modellandschaft im Maßstab 1:87 von einer Tenderlokomotive auf Hanull-Schienen (soll nach Auskunft des Regisseurs Michael Keller die größte Spurweite sein) durch Tunnel und über Brücken tschuffen lassen und mit leuchtenden Kinderaugen über Weichen wachen. Nein, es geht auch um den Übervater, um einen Lebenstraum und den Alptraum Leben.

Drei Jahre ist Appelmann Junior nun arbeitslos, drei Jahre tüftelt er an seiner Modellbahn (»Da sehen Sie mal, daß Arbeitslosigkeit nicht in Nichtstuerei ausarten muß«) und träumt von der naturgetreuen Maßstabsgerechtigkeit. Die Hanull-Zeit muß her, die Tenderlokomotive mit 30 Kilometern pro Stunde durch die Minilandschaft heizen. Der Versuch geht schief, die Lok entgleist, das Moos fängt Feuer, auf dem Hügel tobt ein Waldbrand, der sich bis zur Endstation Schönblick (zusammengehalten mit Sekundenkleber — »leicht entflammbar«) ausweitet. Ein Inferno. Zurück bleiben eine verkohlte Landschaft und ein Gebrochener.

Unvermittelt entgleist auch der Modellbahner, seine Festrede gibt Intimes preis. Er erzählt von seiner Verlobten (Ja, ja, er war auch mal verlobt), von Marlene, die ihn nie mit seinem Schwanz reinließ. Das mit der Nutte, in die er sich verliebt hat, weil's so gut war, rutscht ihm raus. Er hat sich aber nie mehr hingetraut zu ihr. Appelmann ist kein Redner, seine Phantasie ist auch nicht die üppigste; für seine Gefühle und Wahrnehmungen sucht er sekundenlang nach Worten — und kommt dann (nachdem die Zuschauer gespannt warten) damit heraus, daß ihr Busen »so, so, so ... fest, ja fest« war. Matthias Herrmann, Schauspieler am Theater der Freundschaft, skizziert eine verkorkste Trauergestalt, vom Vater, einem Ex-Reichsmarineoffizier, immer wieder dazu gezwungen, »den inneren Schweinehund« zu überwinden. Sadomasochistisch ist der Sohn gefangen in einer Beziehung zur Modelleisenbahn: Liebe und Haß, Enge und Abhängigkeit fesseln ihn an die Landschaft im 1:87er Maßstab, genauso wie andere in jahrelangen Ehen verkümmern. Der Hanullmann macht sich für das Inferno verantwortlich, würgt sich mit dem Gürtel — sein einziges Laster — und gibt dem Modell im nächsten Augenblick den »Todesstoß«: Er zieht den Stecker, entzieht ihm Strom und Lebenssaft.

Die Ordnung ist hin — was hat dieser schäbige Wicht noch zu verlieren? Vom Übervater zum Waschlappen erklärt, wimmert er am Boden. Ein Versager auf dem Abstellgleis. Nun hat er auch noch das zerstört, was er mit dem Vater gemeinsam hatte: die Modelleisenbahn. Eingebettet in die Miniaturlandschaft, in der noch Ordnung herrschte. Ordnung, die es in Deutschland ja nicht mehr gibt: Nur noch Gesocks, keine Fahnen, kein Strammstehen, kein Marschieren. Hin, zerstört. Das mit der Hanull-Zeit, mit den 30 Stundenkilometern, war ein Fehler.

»Liebe Modelleisenbahnfreunde, ach lassen wir das ‘Modelleisenbahn‚, wir sind ja jetzt Freunde.« Freunde? Jetzt kann ich's ja sagen: Das war ein Einmannstück ohne Entgleisungen, mit Längen, aber empfehlenswert. Petra Brändle

Weitere Aufführungen: am 8.3. und 5.4., jeweils 20 Uhr im Kulturhaus Lichtenberg; am 26.3., 19.30 Uhr im Kulturhaus Friedrich Rentsch in Treptow und am 20., 21. und 22.4. um 20 Uhr auf der Probebühne des Theaters der Freundschaft.