Skandinavische Industrie will wieder stärker die Luft verschmutzen dürfen

Norwegen und Schweden kippen ihre ehrgeizigen Umweltschutzziele — aus Wettbewerbsgründen  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Fast gleichzeitig haben die Regierungen Schwedens und Norwegens jetzt ihre ehrgeizigen Umweltschutzpläne, die Versauerung des Regens und die weitere Aufheizung der Erdatmosphäre zu bremsen, aufgegeben. Beide Regierungen haben sich von Wirtschaftskommissionen Berechnungen vorlegen lassen, die ein übereinstimmendes Ergebnis haben: Eine Verwirklichung der Umweltziele hätte wachsende Arbeitslosigkeit und eine weiter sinkende Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Wirtschaft zur Folge. Das in beiden Ländern zur Zeit gültige System von Umweltabgaben wird nicht nur nicht weiter ausgebaut, sondern vermutlich schon in Kürze zusammengestrichen werden.

In Schweden wird die konservative Regierung von Ministerpräsident Carl Bildt in einigen Wochen über das weitere Schicksal der Kohlendioxid-(CO2)-Abgabe entscheiden. Diese Abgabe war auf den Strompreis aufgeschlagen worden, um den Energieverbrauch zu drosseln und Investitionen zu Energieeinsparmaßnahmen wirtschaftlich interessant zu machen.

Die Einnahmen der Staatskasse hieraus sollten gleichzeitig in die Förderung alternativer Energiequellen gesteckt werden. Bei den Regierungsberatungen geht es schon nicht mehr um das Ob eines Streichens bei diesen Abgaben, sondern nur noch um das Wieviel.

Ein völliger Verzicht würde wahrscheinlich ein ungünstiges Licht auf die Regierung werfen. Aber 80 Prozent der jetzigen Abgabe sollten weg, geht es nach dem Willen der Regierungskommission.

Um das durchzusetzen, hat die Regierung auch schon ausgerechnet, was die Beibehaltung der Umweltabgabe kosten würde: mindestens 12.000 neue Arbeitslose — und das mitten in einer Periode bereits rekordhoher Arbeitslosigkeit in dem nordischen Land. Und auch die Industrie hat sich deutlich zu Wort gemeldet. Werde die CO2-Abgabe nicht auf einen — de facto dann nur noch symbolischen — erträglichen Wert herabgefahren, werde eben verstärkt im Ausland investiert werden müssen.

Das sei dann nicht nur für Schweden schlecht, sondern für das globale Milieu insgesamt. Denn in Schweden werde wesentlich energiesparender und umweltfreundlicher produziert, als im für Investitionen interessanten und weniger umweltbewußten Ausland. Eine Steigerung des CO2-Ausstoßes in Schweden sei also unterm Strich für die Umwelt günstiger als die ansonsten viel höhere Steigerung der CO2-Emissionen im Ausland.

Industriefreundlicher „Neuer Start für Schweden“

Diese beeindruckende Argumentationskette scheint für eine konservative Regierung, die ausdrücklich unter dem Motto „Neuer Start für Schweden“ industriefreundliche Politik betreiben will, noch durchaus logisch. Allerdings kommt im nordischen Nachbarland Norwegen die sozialdemokratische Regierung zu exakt den gleichen Folgerungen; eine Regierung, geführt von der „Weltumweltministerin“ und UN- Beauftragten für Umweltfragen, Gro Harlem Brundtland. In Norwegen sollen es gleich 35.000 Arbeitsplätze sein, die sich bis zum Jahr 2000 in Luft auflösen, wenn mit deren Reinhaltung auch nur ansatzweise Ernst gemacht würde.

Das Herunterfahren und Einfrieren des CO2-Ausstoßes auf das Niveau von 1989 sei einfach zu teuer. Auf dieses Fazit läßt sich der Bericht der Osloer Umweltkommission zusammenfassen, für den der Titel „Für eine kostenbewußtere Umweltpolitik der neunziger Jahre“ gefunden wurde. Die mit großen Vorschußlorbeeren eingeführten Kohlendioxid- und Nitrogenoxid-Abgaben wieder auf EG-Niveau zurückzuschrauben, spart Geld — zumindest für die Industrie.

Ist Norwegens Luft teurer als die der EG?

Doch das reicht Norwegens Regierung noch nicht. Auch das EG-Abgabenniveau sei wegen der „spezifischen Struktur“ der norwegischen Industrie viel zu hoch. Das als Vorreiterland des Umweltschutzes gepriesene Norwegen will sich ganz hinten anhängen. Bei Portugal, Spanien, Griechenland, die ja ebenfalls „ganz spezifische“ Konkurrenzprobleme hätten.

Warum es so viel teuerer sein soll, die Luft in Norwegen sauberzuhalten, als im restlichen Europa, ist zwar nicht nachvollziehbar, aber ein Resultat des Berichts der Regierungskommission: genau doppelt so teuer, die Abgaben dürften also nur halb so hoch liegen. Was für den ungebremsten weiteren Ausstoß von CO2 recht ist, soll für die Nitrogenoxide (NO2 und NO4) — beispielweise Abgaben auf Düngemittel und Pflanzenschutzmittel — billig sein.

Den Ausstoß dieser für die wachsende Versauerung der Natur verantwortlichen Stoffe wollte Norwegen bis 1998 um 30 Prozent herunterfahren. Ein hohes Ziel nur dann, wenn man übersieht, daß das Land schon jetzt in Europa für die höchste Belastung mit Nitrogenoxiden pro Kopf der Bevölkerung steht. Die Reduktion hätte also ihren guten Grund. Doch auch diese Logik ist jetzt Schnee von gestern: Die von Oslo eingegangene internationale Verpflichtung sei zu teuer, so die Empfehlung zu deren Beerdigung an die Regierung.

Auch in Norwegen kommen die regierungsamtlichen Berechnungen zum passenden Zeitpunkt. Die höchste Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit und dann noch zehn Prozent zusätzlich, „nur“ um vor Jahren eingegangene internationale Abkommen zu erfüllen? Das innenpolitische Klima für einen umweltpolitischen Kahlschlag ist günstig.

„Arbeitslosigkeit ist auch ein Umweltproblem“

„Wenn wir unserer Industrie höhere Belastungen auferlegen als sie die Industrien anderer Länder zu tragen haben, verlieren wir die Konkurrenz. Noch mehr Arbeitsplätze könnten verschwinden. Und die hohe Arbeitslosigkeit ist auch ein Umweltproblem“, meint nicht etwa das Zentralorgan des Arbeitgeberverbandes, sondern 'Arbeiderbladet‘, die auflagenstärkste sozialdemokratische Zeitung des Landes.