Abhören auf eigene Faust

Illegaler Lauschangriff des hessischen Verfassungsschutzes/ Strafanzeige gegen Geheimdienstchef/ Kronzeuge Nonne wird medizinisch betreut  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Der Obmann der Grünen in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) und der G-10-Kommission des Hessischen Landtages, Rupert von Plottnitz, dementiert: Die vom Landesamt für Verfassungsschutz lancierte Meldung, wonach der Geheimdienstausschuß einen Lauschangriff auf ein Frankfurter Rechtsanwaltbüro genehmigt habe, nannte er gestern eine „Ente“. Gegenüber der taz legte von Plottnitz Wert auf die Feststellung, daß die Mitglieder der PKK vor dem Januar 1992 weder von der Existenz eines Zeugen im Mordfall Herrhausen noch der „Abklärung“ seiner Aussagen durch das Landesamt informiert waren. Die Berichte, nach denen die zuständigen Kontrollgremien im Zusammenhang mit diesem Komplex „einschlägige Abklärungsaktivitäten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz und wie auch immer geartete Abhörmaßnahmen“ gebilligt hätten, entbehrten daher jeder Grundlage.

„Die Sache ist kompliziert genug“, meinte von Plottnitz weiter, denn die Mitglieder der Kontrollgremien unterlägen strikter, mit Strafandrohung versehener Geheimhaltungspflicht. Doch diese Pflicht könne zwangsläufig nur solche Vorgänge betreffen, die sich in einem solchen Gremium auch zugetragen hätten — „und nicht solche Vorgänge, die es dort nicht gegeben hat“. Die Frankfurter Anwaltskanzlei, deren Telefonüberwachung laut Verfassungsschutz von der G-10- Kommission „genehmigt“ worden sein soll, habe — so die Bundesanwaltschaft unter Berufung auf den Kronzeugen — als „Kontaktstelle für die Kommandoebene der RAF“ fungiert. Der von der illegalen Telefonüberwachung betroffene Rechtsanwalt Rainer Koch erstattete inzwischen bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Leiter des Hessischen Amtes für Verfassungsschutz und gegen unbekannt. Weil für den Lauschangriff weder die ohnhin nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu erlangende G-10-Genehmigung vorlag, noch die nach der Strafprozeßordnung erforderliche Genehmigung eingeholt wurde, liege ein Verstoß gegen das Strafgesetzbuch vor. Auf Nachfrage der taz erklärte Rechtsanwalt Koch, daß der vermeintliche Kronzeuge Siegfried Nonne seine Kanzlei insgesamt dreimal aufgesucht habe — einmal im August und zweimal im November 1991. Bei allen Besuchen habe Nonne um anwaltlichen Beistand gegen angeblich bevorstehende Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft gebeten. Weil Nonne auf ihn einen „total schleimigen Eindruck“ gemacht habe, sei er jeweils mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Aussageersuchen der Bundesanwaltschaft aus der Kanzlei komplimentiert worden. Den Vorwurf, daß seine Kanzlei eine „Kontaktstelle“ für die Kommandoebene der RAF gewesen sei, weist Koch als „absurd“ zurück. Die Behauptungen des Kronzeugen Nonne entbehrten jeder Grundlage. Aus dem Umstand, daß er einsitzende Mitglieder der RAF anwaltlich vertrete, den Schluß zu ziehen, daß seine Kanzlei als „Kontaktvermittlungsstelle“ fungiere, sei eine „abenteuerliche Konklusion“.

Abenteuerlich geht es zur Zeit beim Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz ohnehin zu. Ein Staatsanwalt der Bundesanwaltschaft soll in Wiesbaden herausfinden, ob der „Kronzeuge“ Nonne die Agenten des Landes tatsächlich vor dem Anschlag auf Herrhausen „gewarnt“ hat oder nicht. Diese jüngste angebliche Einlassung des „Kronzeugen“ wurde bislang vom Landesamt für Verfassungsschutz und vom hessischen Innenminister Herbert Günther (SPD) dementiert. Das einzige Indiz, das sich nicht auf die Angaben des früheren Informanten stützt, ist der Fund von Spuren des Sprengstoffes in Nonnes Keller, der bei dem Anschlag auf Herrhausen verwendet worden sein soll. Der Kronzeuge selbst wird in einer geheimgehaltenen medizinischen Einrichtung betreut. Auf Betreiben der Bundesanwaltschaft soll Nonne demnächst psychiatrisch-psychologisch begutachtet werden. Nonne war in den letzten Jahren mehrfach in psychiatrischer Behandlung und alkohol- und drogenabhängig.