Anwälte fordern Zeit zum Aktenstudium

Antragsflut bremst coop-Prozeß/ Frankfurter Landgericht vertagte am ersten Verhandlungstag nach anderthalb Stunden/ Verteidiger der sieben coop-Manager verlangten 118 fehlende Aktenordner/ Otto wünscht JournalistInnen Jagdglück  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Nach anderthalb Stunden war gestern vormittag der erste Verhandlungstag im größten Wirtschaftsstrafprozeß der Bundesrepublik gegen die Ex-Manager des Einzelhandelskonzerns coop bereits beendet. Die sieben Angeklagten zogen genauso gelassen bis heiter wieder aus dem Gerichtssaal EI des Frankfurter Landgerichtes aus, wie sie um 9 Uhr mit dem Troß ihrer insgesamt 17 Rechtsanwälte Einzug gehalten hatten. Der Vorsitzende der Zweiten Strafkammer, Gernot Bokelmann, vertagte um 10.28 Uhr auf Mittwoch — zur gleichen Zeit am gleichen Ort.

Der in weiten Teilen übereinstimmende Antrag aller Verteidiger, dem er damit stattgab, wird damit allerdings nicht aus der Welt sein. Den Rechtsanwälten fehlten 118 Aktenordner zur Einsicht, in denen Wirtschaftsprüfer seinerzeit ihre Erkenntnisse über die verworrenen Finanzen und Firmenstrukturen des bis 1988 noch gewerkschaftseigenen Konzerns festgehalten hatten. Rechtsanwalt Thomas rügte dies für seinen Mandanten, den Ex-Vorstand Michael Werner, als „Behinderung der Verteidigung“. Sein Kollege Karras forderte einen zur Prüfung ausreichenden Zeitraum: „Nicht nur gucken, sondern auch durcharbeiten!“ Eine ihnen „auch erst vor zwei Wochen“ zugegangene 400seitige Zusammenfassung der Staatsanwaltschaft genüge ihnen nicht. Ganz grundsätzlich, waren die Verteidiger sich einig, sei die Zeit, alle Unterlagen zu prüfen, zu kurz bemessen gewesen. Staatsanwalt Klune und Oberstaatsanwalt Rochus reagierten indigniert. Die Vorwürfe seien „albern und abstrus“, die Akten jederzeit beim Bundeskriminalamt einsehbar. Die Verteidiger von Alfons Lappas konterten den Verweis auf das BKA bissig: „Soll das bedeuten, daß das BKA das Verfahren führt?“

Vorsitzender Bokelmann war vor dem Beginn der von allen Prozeßbeteiligten erwarteten Antragsflut gerade bis zur Verlesung der Personalien der ehemaligen Manager der coop gekommen. Ex-Aufsichtsratsvorsitzender Alfons Lappas (62) firmiert danach inzwischen als Pensionär. Dem gewesenen Vorstandsvorsitzenden Bernd Otto (51), dem, ebenso wie seinen Kollegen Dieter Hoffmann (51) und Michael Werner (47), neben Bilanzfälschung, Untreue und Prospektbetrug auch vorgeworfen wird, über Stiftungen 25,6 Millionen Mark in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben, ging es in der einzigen Verhandlungspause immer wieder darum, leutselig zu betonen, daß er sich „ganz bestimmt nicht“ bereichert habe.

Daß die 118 Aktenordner der Wirtschaftsprüfer nicht vorlagen, gebe ihm „voll in allem recht“. Die darin sicher enthaltenen Randbemerkungen der Wirtschaftsprüfer, meinte er, nebenbei Hände schüttelnd, „werden mich bestätigen“. Was denn in den fehlenden Akten Entlastendes enthalten sein könnte, mochte er nicht verraten: „Recherchieren Sie selber“, orakelte Großwildjäger Otto und wünschte stilecht: „Viel Jagdglück!“

Otto war im Dezember 1989 nach der Rückkehr aus Südafrika auf dem Frankfurter Flughafen wegen Verdunkelungsgefahr verhaftet und gegen eine Kaution von 500.000 Mark im Herbst 1991 auf freien Fuß gesetzt worden. Mitangeklagter Hoffmann mußte 700.000 Mark hinterlegen. Das Gericht hob gestern die Auflage, sich zweimal in der Woche bei der örtlichen Polizei melden zu müssen, gegen sie und den ehemaligen Direktor für Bilanzen und Steuern, Klaus- Peter Schröder-Reinke, auf. Schröder-Reinke, Ex-Finanzabteilungs- Direktor Norbert Lösch und Vorstandssekretär Hans Gitter sitzen wegen Beihilfe auf der Anklagebank.

Vor dem Gerichtssaal agiert umtriebig der schillernde Amtsgerichtsdirektor a.D., Rudolf Deichner aus Mannheim, der im Vorfeld des Prozesses angekündigt hatte, „Herrn Otto“ zur Seite stehen zu wollen. Die „Mithilfe“ Deichners, der in eigener Regie gegen Prominente, Banken und Konzerne streitet, war zu Wochenbeginn vom 'Spiegel‘ als weniger hilfreich denn als „ernste Drohung“ für Otto bezeichnet worden. Deichner brachte eine Presseerklärung mit, in der er die Banken angriff, ein Komplott gegen die Manager geschmiedet zu haben. Diese stünden schon deshalb zu Unrecht vor Gericht, weil sich „auf ihrem Rücken und auf dem der Kleinaktionäre“ die maroden Ex-Gewerkschaftsbanken BfG und DG mit Hilfe der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank saniert hätten. Deichner kündigte einen „Musterprozeß“ gegen sie an.

ProzeßbeobachterInnen rechneten nach dem gestrigen Auftakt mit einem Jahre andauernden Verfahren. Die Verteidigung kündigte für den Fall der zu kurzen Aussetzung der Hauptverhandlung eine Fülle neuer Anträge an: „Wir werden hier bis 1998 verhandeln.“ Gerichtsangestellte befürchteten daraufhin, daß andere Strafverfahren nicht stattfinden können, weil sie wegen der dann fehlenden Termine „einfach verjährt sein werden“. Ein weiteres Verfahrenshindernis sah Rechtsanwalt Dörr, der Norbert Lösch vertritt, voraus. Nach einer Musterung des Gerichtssaales sinnierte er darüber nach, wo denn die vielen Akten, die er und seine Kollegen benötigen werden, untergebracht werden könnten. Bokelmann reagierte praktisch: „Da können noch ein paar Regale an die Wände.“