K.M. — in hohem Maße verdächtig

■ Die Werke des Mannes, der die gleichen Initialen hatte wie der erste Marxist, durften bis spät in die siebziger Jahre in der DDR nicht erscheinen.

Daß ihn der Honecker gehaßt hat, kann man sogar verstehen. Bei dem war es aber wirklich nichts Persönliches. Der Mann hatte schließlich mit allem Gedruckten seine Probleme und mit Sicherheit entsetzliche Angst davor, bei irgendeinem Anlaß, einer Laudatio oder einem Jubiläum, den bewußten Namen auszusprechen: Hadschih, Halef, Omar, Dawud al Gosarah.

Nein, Erich hatte mit Sicherheit nichts gegen Old Shatterhand, mit bürgerlichem Namen Karl May. Anders dagegen Erichs Ziehvater, Walther Ulbricht. Oh, der hatte den Radebeuler Schwindelmeier ganz furchtbar auf dem Kieker. Die Gründe dafür? Legion.

Ganz zuvorderst die Initialen. Hier war jemand, der die gleichen wie Karl Marx besaß, doppelt so viel geschrieben hat, aber ganz im Gegensatz zum Revolutionsrauschebart auch von Millionen Menschen gelesen wurde. Und zwar freiwillig, ohne daß man mit Tribunalen und Umerziehungslagern über sie kommen mußte, mit Parteiverfahren, Aussiedlungen und sonstigen revolutionären Aktivitäten. Ein solcher Mensch war im höchsten Maße verdächtig und mußte auf jeden Fall verboten werden.

Zum anderen — die gleiche Landsmannschaft wie Ulbricht. Karl May hielt im sächsischen Radebeul Hof — zugegeben, mitunter auch in unwürdigem Gemäuer; Walther im Bart, nicht weit entfernt, im sächsischen Leipzig. Als konspirativer Klassenkämpfer mußte er sich des öfteren sogar, so weiß die Legende zu berichten, in einem Bordell verbergen. Und hier liegt nun ein weiterer Grund für den späteren Haß des Parteichefs: Er durfte sich immer nur im Rot gewisser Laternen und Fahnen bewegen. Shatterhand dagegen inmitten der ihn anbetenden Rothäute. Und an seiner Seite auch noch der Urtyp des Jungspartakisten, Winnetou, den Karl May niederträchtigerweise im vierten Band lieber sterben läßt als ihn zum Ersten Sekretär des Parteitags der Apachen wählen zu lassen.

Ein weiterer Grund für das Verbot von Karl May in den fünziger Jahren in der DDR wird wohl auch die Begeisterung eines anderen Volksführers, namens Hitler, für den sächsischen Münchhausen gewesen sein. Adolf, über dessen Bett im Führerbunker die Gesamtausgabe der Werke des Meisters stand — natürlich Prachtgestaltung, braunes Leder, mit Goldschnitt —, erklärte mehrfach, erst durch Karl May sei ihm die entscheidende Kenntnis der Welt und des Lebens gekommen.

Den Ausschlag für die Ablehnung Mays aber haben letztendlich wohl die Schauplätze seiner Storys gegeben. Ich bin sicher, hätte sich das Epos Unter Geiern nicht bei den gleichnamigen Vögeln des Wilden Westens im fernen Amerika, sondern den Krähen der sächsischen Schweiz abgespielt, selbst Ulbricht wäre zum Einlenken bereit gewesen. Aber Bücher, die grundsätzlich eines immer voraussetzen — die Möglichkeit, ans andere Ende der Welt zu reisen —, hatten nicht stattzufinden. Wir hier im Osten mußten also lange auf die Lektüre des großen Weltenbummlers, der nie einen einzigen seiner berühmten literarischen Schauplätze selbst betreten hatte, verzichten.

Wie wir das ertragen haben? Aber wir haben es ja gar nicht ertragen und ganz sicher mehr von den verlorenen Schätzen im Silbersee genascht als die so sehr von uns Beneideten im freien Westen. An den man freilich sämtliche Rechte, die Mayschen Möbel nebst einmaliger Dokumente schon in den fünfziger Jahren für Pfennige verscherbelt hatte.

Obwohl wie üblich, so auch im Falle May, drakonische Strafen auf die Lektüre von „Schund und Schmutz“ standen, u.a. der Rausschmiß aus der Oberschule, aus der Lehre, die Maßregelung der Eltern und, falls es ein Amerikaband von May war, der sehr gefährliche Vorwurf der Verherrlichung des US-Imperialismus — der Ritter wider Tod und Teufel wurde gelesen wie verrückt.

Und dann, eines Tages ganz plötzlich, aus heiterem Himmel, am Ende der siebziger Jahre: Die Entdeckung des Dichters Karl May auch in der DDR. Auch ein Jungspartakist — Egon Krenz soll es gewesen sein, wahrscheinlich vor Antritt einer Amerikareise und in der Hoffnung, neben Arnold Schwarzenegger dort auch mit Karl May zusammenzutreffen —, warf in einer Fernsehsendung die Frage auf, warum denn eigentlich nicht? Auch dieser Karl wolle doch nur das Beste in seinen Büchern, wie der andere, der Bärtige, eben mit anderen Mitteln. Der Sachse halt mit Schmetterhänden, mit ein bißchen Skalpieren und leider mit der Religion. Wenn man die aber aus den Büchern weglasse, könne er doch gedruckt werden. Die Leute könnten befriedigter einschlafen als sonst, und außerdem werde der Staat haufenweise Devisen sparen.

Gesagt, getan. Und bald schon lagen die Winnetous, die Shurehands und die Geister des Lano Estacado in gewaltigen Auflagen auf den Nachttischen des Leselandes DDR.

Der Stern des einen K.M. ist am Untergehen. Der des anderen, des volkstümlicheren Utopisten, noch immer hoch am Firmament. Auch für mich, ich sage es geschämig, leuchtet er noch hell. Ich bin gerade wieder unterwegs mit ihm durch die Schluchten des Balkan. Um Jugoslawien allerdings machen wir diesmal einen Bogen: zu gefährlich und mit Fausthieben nicht mehr in Ordnung zu bringen. Henning Pawel