Totschlag im Affekt — er hat sie nicht verstanden

■ Urteil gegen den afghanischen Ehemann, der seine nepalesische Frau tötete / Mit drei Dolmetschern vor Gericht

Wegen „Totschlag im Affekt“ an seiner Ehefrau stand der moslemische Asylbewerber Mohammed Ataie seit Anfang Februar an vier Verhandlungstagen vor Gericht. Gestern wurde im großen Schwurgerichtssaal das Urteil gesprochen: 4 Jahre und 9 Monate Haft. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten übereinstimmend dafür plädiert, den Fall als minder schweren Totschlag zu werten, da der Angeklagte zur Tatzeit eingeschränkt schuldfähig gewesen sei.

Die Fakten galten längst als gesichert: Die Leiche der jungen Nepalesin Nirmala Ataie war geborgen worden, der Täter hatte unmittelbar nach seiner Festnahme in der Schweiz ein Geständnis abgelegt. Auch das Messer war am Tatort gefunden worden, was brauchte man mehr, um kurzen Prozeß zu machen.

Staatsanwältin Claudia Traub, die in letzter Minute die Vertretung der Staatsanwaltschaft übernommen hatte, jedoch bestand darauf, daß außer der Lebensgeschichte des Täters auch die Leidensgeschichte der Getöteten zur Sprache kam.

Eine multikulturelle Verhandlung: in drei Sprachen wurden die Gerichtsdialoge übersetzt. Außer der deutschen Sprache für die Richter, ins afghanische Dari für den Angeklagten und seine Brüder, ins pakistanische Urdu für die Nachbarsfamilie aus der Asylantenunterkunft, ins Tamilische für die Hindu-Freundin des Opfers aus dem Frauenhaus.

Spätestens an diesem Dolmetscherbedarf vor Gericht wurde das Drama einer Ehe offenbar, in der — eingeengt in der Einzimmerwohnung der Asylantenunterkunft — keiner die Muttersprache des anderen verstand.

Mohammed Ataie weiß nichts von ihrem Leben vor der Ehe, nichts von ihren kulturellen und religiösen Vorstellungen, ihre Familie hat er nie gesehen. Buchstäblich hat er sie nicht verstanden. Als er in der Hochzeitsnacht keine Blutspuren auf dem Bettlaken findet, beginnt er sie zu schlagen.

Obwohl Nirmala Ataie in Nepal — nach seinen Angaben — bereits zum moslemischen Glauben übergetreten war, war sie eine Hindu-Frau geblieben. Sie glaubte an die Metamorphose der Wiedergeburt. So hatte sie vorahnend, wenige Tage vor ihrem gewaltsamen Tod, einer Freundin im Frauenhaus anvertraut: „Wenn ich umgebracht werde, komme ich als Dein Kind wieder auf die Welt.“

Die ZuhörerInnen im Gerichtssaal hielten den Atem an, als von einem Kind die Rede war, das Nirmala Ataie durch die Mißhandlungen des Ehemannes verloren haben soll. Sie soll im 7. Monat schwanger gewesen sein. An diesem Punkt der Verhandlung wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Er fühlte sich entehrt. Den Brüdern gegenüber schwieg er. Und so führt eine Spur der Gewalt vom unblutigen Laken über die Schwangerschaft, die mit einem Abbruch oder einer Fehlgeburt endete, zum Abend des 7. Januar 1991, an dem Nirmala Ataie von ihrem Ehemann erstochen wurde.

Obwohl der Gerichtsmediziner alle 17 Stichwunden der Länge, Breite, Tiefe und Einstichsrichtung nach genau vermessen hatte, war die polizeiliche Spurensicherung mit wenig Sorgfalt durchgeführt worden. Wo zum Beispiel war der entscheidende Brief aus Nepal geblieben, der Anlaß zu dem letzten Treffen war? Und wo die Fotos, die Nirmala Ataie bis zuletzt in ihrer Handtasche trug?

Während die Vorgeschichte Nirmala Ataies trotz aller Bemühungen der Staatsanwältin weitgehend im Dunkeln blieb, war die Lebensgeschichte des Mohammed Ataie detailliert vom psychologischem Gutachter Dr. Maisch als Krankengeschichte vorgetragen worden.

Die frühen Depressionen, der Tod der Eltern durch den Krieg in Afghanistan, der Sturz des Fünfzehnjährigen aus einem Fenster des 3. Stockwerks und die Folgen: Gehirnquetschung, Schädeltrümmerbruch, linksseitige Lähmung, epileptische Anfälle, Zittern des linken Beines, Sprachstörungen, Wahrnehmungs-und Bewußtseinseinengungen, Reizbarkeit und so weiter.

Man mochte es ihm glauben, wenn der unaufhörlich zitternde, in sich zusammengesunkene Mann auf der Anklagebank von sich sagte: „Was kann ich sagen, mein Leben ist selbst kaputt.“ Und: Es sei sein größter Wunsch, seine Frau würde leben und könnte ihn jetzt töten. Inge Buck