Beule und Schwundriß

■ Nana Petzets »Modellversuch Rot« in der Galerie Art Acker

Eine Kunstausstellung, die keine Kunstausstellung sein will, veranstaltet derzeit der Art Acker e.V. Die Besucher der Galerie werden von drückender Eintönigkeit empfangen. An den Wänden hängen 72 über die Räume verteilte Wiederholungen ein und desselben Gemäldes. Bis auf minimale, handwerklich bedingte Abweichungen sind die akkurat durchnumerierten Malereien nahezu identisch. Sie bestehen aus drei senkrechten kadmiumroten Bahnen, die sich nur durch die verwendeten Bindemittel Öl, Eitempera und Acryl voneinander unterscheiden. Acryl erzeugt einen matten, warmen Glanz, Eitempera macht die Farbe stumpf, das Öl verleiht ihr einen kühlen, weißlichen Schimmer.

Aber die Spannungen zwischen den Farbfeldern, der Reiz, das gleiche Pigment durch unterschiedliche Verarbeitung in seiner Wirkung zu brechen, ist ein eher nebensächlicher Aspekt dieser Arbeiten. Die Präsentation der 72 Leinwände stellt nicht mehr als eine Phase des »Modellversuchs Rot« dar, den die Hamburger Konzeptkünstlerin Nana Petzet im Herbst 91 startete. Im Stil eines wissenschaftlichen Experiments aufgezogen, von einer die Sachverständigensprache knochentrocken parodierenden Broschüre begleitet, ist der Modellversuch Rot ein Beitrag zum Nachdenken über die Funktion und den Stellenwert von Kunst heute.

Kunst kann zum Fetisch erklärt und unter Wahrung eines angemessenen Sicherheitsabstandes ins Museum gesteckt werden. Oder eine lukrative Geldanlage darstellen und im Banksafe verschwinden. Dabei bleibt unbeobachtet, daß in der Kunst nicht erst durch den Verkauf ein Besitzerwechsel stattfindet. Bereits mit ihrer Veröffentlichung wird sie dem Publikum übereignet. Sie entgleitet ihrem Produzenten und fällt unter die individuelle Verantwortung des einzelnen Konsumenten, der nun — zumindest in Gedanken — mit ihr anstellen kann, was ihm beliebt.

Wesentlicher Bestandteil von Petzets Projekt sind die Schadensprotokolle, die der Käufer zusätzlich zu dem Gemälde erhält. Diese Fragebögen müssen — damit der Modellversuch Rot gelingt — in vorgegebenen Zeitabständen sorgfältig ausgefüllt werden. Um Beobachtungen über Veränderungen an den Leinwänden detailliert festhalten zu können, hat die Künstlerin eine Vielzahl von Rubriken vorgesehen. Neben Verunreinigungen berücksichtigen sie mögliche Schäden durch chemisch-physikalische oder mechanische Einwirkungen: von Fingerabdruck und Schimmelpilz über Farbabrieb, Beule, Schnitt, Loch und vereinzelter Runzelbildung bis zum ausgewachsenenen Schwundriß umfaßt die Auflistung selbst die abwegigsten Variationen der Abnutzung. Die anschließend an Petzet zurückgeschickten Protokolle sollen Grundlage einer Untersuchung »zum Schicksal moderner Malerei im Alltag« werden, deren Ergebnisse die Künstlerin zu einem ihr geeignet erscheinenden Zeitpunkt veröffentlichen will.

Hinter dem Humor, mit dem Petzet ihren Plan verfolgt, steht ein ernsthaftes Anliegen. Schon durch die in der Vorstellung mögliche Teilnahme an der Fragebogenaktion lockt sie den Kunstkonsumenten aus der Reserve. Er wird aus seiner passiven Haltung in eine aktive Rolle gedrängt. Sein persönlicher Umgang mit der Kunst steht zur Disposition und der Modellversuch Rot kann als anschauliche Metapher für dieses Verhältnis gelten. Ulrich Clewing

Bis zum 7. März, Art Acker e.V., Ackerstraße 18, Berlin-Mitte, do./fr. 16-20, sa./so. 11-14 Uhr.