„Haben kein Geld — aber meckern ständig“

Italien, einst das Dorado der Altenkultur, kommt mit seinen Rentnern nicht mehr zurecht/ Pornostar als Wahlkandidatin  ■ Aus Formia Werner Raith

Der Zahnarzt Carlo Priore ist trotz seiner erst 45 Jahre berufsmüde. Aber er hat eine Idee, die er für höchst erfolgversprechend hält. Er möchte auf seinem Grundstück in Formia auf halbem Weg zwischen Rom und Neapel eine „Casa di riposo“ einrichten — eine Art Altenheim. Der Clou dabei: „Rein dürfen mir da nur Ausländer. Die können kommen und gehen, wann sie wollen, den ganzen Winter dableiben oder den Rest ihres Lebens. Es gibt da alles, was sie glücklich macht: Meer, Gebirge, Kultur, gutes Essen in den Restaurants ringsum“, sagt Priore. Viel Arbeit werde das nicht machen: „Wer aus dem Ausland kommt, ist ja wohl noch rüstig und meist außer Haus.“ Mit den Einheimischen und ihren Altersgewohnheiten hat Priore dagegen schon mehrfach unangenehme Erfahrungen gemacht: „Die haben kaum Geld, wollen aber immer das Beste, meckern ständig und gehen dem Personal auf den Keks.“ Vor allem aber — und das hat seine Abneigung gegenüber der landeseigenen Altengarde besonders gefestigt — „rufen die immer häufiger die Polizei, und die machen dann einen Mordsärger.“

Das stimmt zwar, doch sind die meisten Fälle von „Ärger“ auch verständlich. In Neapel fand die vom Gesundheitsministerium mobilisierte Spezialtruppe der Carabinieri Altenheime, bei deren Betreten ihnen Ratten entgegenliefen; auf Sizilien wurden in den vergangenen zwei Jahren mehr als drei Dutzend „Case di cura“ — eine andere Bezeichnung für Alten- und Pflegeheime — wegen unzumutbarer hygienischer, aber auch grauenhafter humanitärer Zustände geschlossen: Da hatte man Alte einfach eingesperrt, ihnen das Essen durch Löcher gereicht, andere sogar angekettet, weil sie sonst zur Polizei gegangen wären. In Rom, im oberitalienischen Piemont und in der Lombardei fanden die Polizisten Häuser mit völlig apathischen Alten. Sie waren unter so starke Beruhigungsmittel gesetzt, daß man einige kaum mehr aus ihrer Lethargie wecken konnte.

Das Entsetzen im Lande war anfangs groß. Mittlerweile hat es sich freilich wieder gelegt. Italien, in der Nachkriegszeit noch lange von eher bäuerlichem Denken geprägt, hatte seine Alten bisher immer als einen integrierten, noch bis um Tode aktiven Teil des gesellschaftlichen Lebens empfunden und auch so behandelt. Die Alten hatten genug Lebensraum, hielten noch ein paar Hühner und ein Schaf und machten sich nützlich, wo es ging. In der Stadt gehörten „Nonno e nonna“, Opa und Oma, nicht nur zu jedem Familienfest — meist feierte man es sogar bei ihnen. Darüber hinaus waren sie als geschätzte Enkelhüter auch meist bei Urlaubsfahrten und Ausflügen dabei. Oma brachte die selbstgebackene Pizza mit, Opa hörte mit Söhnen und Schwiegersöhnen am Transistorradio die Fußballübertragungen. Diese Zeiten sind fast überall vorbei. Wenn Ferien nahen, füllen sich die Hospitäler mit Alten, die von ihren Familien dort mit Angabe von allerlei — meist erfundenen — Krankheitssymptomen abgeliefert werden. Familienbesuche beschränken sich auf Weihnachten und runde Geburtstage. Wenn kein Nachwuchs vorhanden ist, wenn die Töchter und Söhne weit entfernt wohnen oder gar ausgewandert sind, leben die Alten völlig isoliert.

Abhilfe zu schaffen ist schwer — selbst wo engagierte junge Sozialarbeiter Treffpunkte und Animationsprogramme einrichten, verläuft oft alles im Sande. In vielen Fällen stehen diesen Initiativen auch Denkweise und Gefühle der Alten entgegen. In Terracina südlich von Rom stellte die Kommune ein ganzes Stockwerk für Aufenthaltsräume und Filmvorführungen zur Verfügung. „Anfangs“, so Gabriella Percoco, die die Einrichtung mit begründet hatte, „kamen ziemlich viele Alte— aber alles Männer, die dann hier Karten spielten, wie sie es sonst vor den Espresso-Bars tun. Da haben wir Programme für alte Frauen aufgestellt. Dann sind die Männer empört weggeblieben: Frauen gehören an den heimischen Herd. So haben sich auch die Frauen nicht mehr hergetraut, und alles ist eingeschlafen.“

Neuen Wind erhoffen sich die Pensionäre nun von den anstehenden Parlamentswahlen. Schon vor fünf Jahren hatten sie mehrere hunderttausend Stimmen gewinnen können, weil sie einige landesweit bekannte SchriftstellerInnen und KünstlerInnen auf ihren Listen hatten. Diesmal versuchen sie es mit einer besonders pfiffigen Idee: Sie sind eine Listenverbindung mit der „Partei der Liebe“ eingegangen, die von Moana Pozzi angeführt wird — einem Pornostar, der nach dem Abgang der für die Radikale Partei ins Parlament gewählten Ilona Staller („Cicciolina“) zu den meistgefragten Gästen in Talk-Shows gehört.

Carlo Priore hofft, daß sich das Parlament nach Moana Pozzis Wahl für die „Belange der Alten“ erwärmen wird — vor allem deshalb, weil „die in Rom das von der EG bereits verabschiedete Gesetz zur Finanzierung der Altenheime, die auch für Ausländer geöffnet sind, noch ratifizieren müssen“.