Fünfter Kontinent auf dem Weg zur Pleite

■ Der neoliberalen Wirtschaftspolitik des Premiers Keating wird die schwere Rezession angekreidet

Sydney (ips/taz) — In Australien herrsche ein rauhes Klima, erklärte George Bush bei seinem Besuch im Januar vor dem Parlament in Canberra. Gemeint hatte der amerikanische Präsident jedoch nicht das Wetter, sondern die düstere Wirtschaftslage im einst gelobten Landes aller Auswanderer. Die Unzufriedenheit kulminierte in der schroffen Ablehnung vor allem der Bauern und Landarbeiter, die dem Handelsreisenden Busch auf dem fünften Kontinent entgegenschug. Doch auch die Regierung unter Premierminister Paul Keating kam nicht ungeschoren davon: Sie solle sich lieber um die Misere im eigenen Land kümmern, anstatt für ausländische Repräsentanten hofzuhalten.

Australien leidet unter der schwersten Rezession seit 60 Jahren. Von 6,4 auf 99,7 Milliarden US-Dollar sind die Auslandsschulden in den letzten zehn Jahren angewachsen, und noch ist kein Ende abzusehen. Das Defizit in der Zahlungsbilanz erreichte im Vorjahr 11,3 Milliarden Dollar. Lokale Industrien werfen angesichts billiger Importe das Handtuch und verlegen ihre Produktion ins Ausland; die Massenarbeitslosigkeit dürfte dieses Jahr von knapp elf auf gut zwölf Prozent zunehmen. Das Sozialprodukt schrumpft; auch der Konsum geht merklich zurück. Einst erfolgreiche Geschäftsleute verkaufen ihr Betriebsvermögen, um ihre Schulden zu bezahlen, oder stehlen sich klammheimlich in europäische Steuerparadiese davon. Die Gläubiger gehen leer aus. Am schlimmsten sieht es in der Landwirtschaft aus: Dort werden jährliche Exporteinbußen verzeichnet, die in die Hunderte Millionen Dollar gehen. Mehr als 1.000 Weizenbauern, die ihre Produktion stillegen wollen, haben von der Regierung sofortige Hilfe verlangt.

Verpaßte Strukturreformen in der Wirtschaft, sagen die Experten, haben das Land an den wirtschaftlichen Abgrund gebracht. Gewerkschaften und Industrie dagegen drängen auf eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik — nicht weniger, sondern mehr Staat soll Australien wieder auf die Beine helfen. Die Gewerkschaften haben in der vergangenen Woche eine ganze Reihe von Demonstrationen und Protestkundgebungen organisiert, um vor allem gegen die aufgrund von fiskalen Sparmaßnahmen eingeleiteten Kündigungen im öffentlichen Dienst zu protestieren.

Ganz ohne akademische Zurückhaltung nahmen vergangene Woche Ökonomen die „rationalistische“ Wirtschaftspolitik des Premiers Keating auseinander, den viele Australier inzwischen als den Schuldigen der tiefen Rezession sehen. Schließlich war es Keating, der als Schatzkanzler der früheren Regierung unter Bob Hawke jene neoliberalen Maßnahmen durchsetzte, die nun für Arbeitslosigkeit, Kapitalabwanderung und ausbleibende Investitionen verantwortlich gemacht werden. Die Regierung hatte die nationalen Finanzmärkte dereguliert, die horrenden Landwirtschaftssubventionen zusammengestrichen und die Zollschranken gekappt, die die Industrie zuvor wohlig geschützt hatten. Keating wollte damit die australische Wirtschaft international konkurrenzfähig machen.

„Wirtschaftlicher Rationalismus“, wetterte der Soziologe Michael Pusey, „nimmt auf arrogante Weise an, daß Märkte und Geld immer bessere Ergebnisse liefern als Staaten, Bürokratien und das Gesetz. Deshalb wird der öffentliche Sektor zugesperrt. Diese Wirtschaftspolitik, so die Kritiker, habe das soziale Gefüge des Landes zerstört. Sowohl Gewerkschaften als auch Industrie wollen nun die Regierung dazu bewegen, den neoliberalen Dogmen abzuschwören und zum alten Staatsinterventionismus der 70er Jahre zurückzukehren. Nachdem die nächsten Wahlen kommendes Frühjahr bevorstehen, könnte sich Keating durchaus zu einem Kurswechsel bewegen lassen. Alles wartet gespannt auf die vom Premier für heute angekündigte Regierungserklärung zur wirtschaftlichen Lage. Vor allem aber wird es darauf ankommen, ob es Keating gelingt, der darniederliegenden Wirtschaft durch den Ausbau der Infrastruktur neue Impulse zu geben. Der Telekommunikationsbereich soll neu geordnet, der Luftverkehr einer gründlichen Revision unterzogen werden. Die Industrie fordert zudem eine Änderung des Steuersystems, um ausländische Investoren anzulocken.

Angefangen habe die Misere schon 1983, als die australischen Devisenreserven knapp wurden, erklärt der Ökonom Terry Flew, der Großteil der darauf folgenden Betriebsübernahmen und Börsenspekulationsgeschäfte sei mit Krediten finanziert worden. Die Staatsverschuldung wuchs; das Steuersystem, nach dem alle Zinszahlungen abgesetzt werden konnten, trug zu einer weiteren Steigerung bei. Verschärft wurde die Situation durch die geringe innere Sparquote, die Wirtschaftsexperten als eines der grundlegenden Probleme des Landes bezeichnen. Wurden früher noch 13 bis 15 Prozent des Einkommens auf die Seite gelegt, sind es heute nur mehr vier oder fünf Prozent. Sparen würde auch die Importe drosseln; dadurch könnte die Handelsbilanz aufpoliert werden. Doch der Außenhandel leidet auch darunter, daß die fast ausschließlich auf Rohstoffausfuhren basierende Exportindustrie nicht diversifiziert wurde. Australien hat nicht nur den industriellen Wandel, sondern auch den Umbau zu einer Dienstleistungsgesellschaft völlig verschlafen.

Australien wird sich jedenfalls eine neue Rolle auf dem Weltmarkt suchen müssen. Das „Australian Financial Centre Committee“ (AFCC), eine Lobby-Gruppe der Privatwirtschaft, spekuliert dabei auf den sinkenden Stern Hongkongs, das 1997 an China zurückfallen soll. Statt der britischen Kronkolonie könnte Australien zum Finanzzentrum und Unternehmenssitz für den gesamten Westpazifik werden, hofft der Unternehmerverband. es