Anwälte nehmen Kinkel in die Pflicht

Die Verteidiger der RAF-Gefangenen begrüßen Kinkels „neue Position“, kritisieren aber die Bundesanwaltschaft, die als Freilassungsbedingung nun eine modifizierte Art des „Abschwörens“ fordert  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Die Initiative von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) zur vorzeitigen Haftentlassung von RAF-Gefangenen ist bei deren Rechtsanwälten auf eine kritische Würdigung gestoßen. In einer gemeinsamen Erklärung begrüßten sie gestern die „neue Position“ des Justizministers — sie kritisieren aber gleichzeitig die Karlsruher Bundesanwaltschaft, die weiterhin als Voraussetzung für eine frühzeitige Freilassung von den Gefangenen verlange, „die politische Geschichte als individuelle Tat und Kriminalität zu denunzieren“. Der Bundesjustizminister habe zwar erklärt, ein „Abschwören oder ein politischer Kotau“ solle nicht mehr Voraussetzung sein, das Ergebnis zweier Gespräche mit der Karlsruher Behörde ergebe allerdings ein anderes Bild. So werde vom einzelnen Gefangenen weiterhin der Nachweis gefordert, daß er sich mit „seiner Tat auseinandergesetzt“ hätte. Verlangt werde zudem eine Erklärung, daß er zur Durchsetzung politischer Ziele Gewalt ablehne und zusichere, künftig ein straffreies Leben zu führen. Sie müßten damit „für alle Zukunft das staatliche Gewaltmonopol akzeptieren“. „Im Kern“ käme von der Bundesanwaltschaft „nichts Neues“. Zur Freilassung der RAF-Gefangenen Claudia Wannersdorfer erklärten die 27 Unterzeichner des Schreibens, das Stuttgarter Oberlandesgericht habe in ihrem Fall lediglich die Reststrafe von elf Monaten zu einer dreijährigen Bewährungszeit ausgesetzt. Kinkels Initiative sei dabei „stehengeblieben“.

Als „diametralen Gegensatz zur berechtigten Forderung der Gefangenen nach Kommunikation“, die auch von Bundesjustizminister Kinkel „beabsichtigt sein soll“, werten die Anwälte das Festhalten der Bundesanwaltschaft am Ermittlungsverfahren gegen die Inhaftierten wegen eines „illegalen Infosystems“. Ebenso kritisieren sie, daß einerseits über eine vorzeitige Haftentlassung diskutiert werde, andererseits aber gegen langjährig Verurteilte neue Anklagen erhoben würden. Diese neuen Verfahren basierten ausschließlich auf den Aussagen der in der DDR festgenommen RAF-Aussteiger — die im Rahmen der Kronzeugenregelung als „grundsätzlich erkaufte Aussagen“ nicht verwertet werden dürften.

Wenn die Initiative Kinkels „ein Einschnitt in die 21jährige Geschichte sein will“, dann müsse jede Form der Isolation in den Haftanstalten beendet werden. Der Zeitraum der „Sonderhaft“ müßte — wie bei der „Anrechnung von in Drittstaaten verbüßten Haft“ gebräuchlich — dreifach angerechnet werden, „mit der Folge, daß alle politischen Gefangenen freigelassen werden“. In der Übergangsphase sollten die Inhaftierten in großen Gruppen zusammengelegt werden.