Neu im Kino: "Der Schätzer"

■ betr.: Ein Pfeil in unser Hirn

Noah schätzt als Versicherungssachverständiger bei Bränden die Schadenshöhe. Seine Frau Hera bewertet Pornofilme in der Zensurbehörde. Fotos werden verbrannt, Filme heimlich auf Video aufgenommen, eine ganze Filmproduktion ins Leben gerufen, nur damit eine reiche Neurotikerin ihre sexuellen Obsessionen ausleben kann.

Im neuen Film des kanadischen Regisseurs Atom Egoyan agieren die Figuren ohne Ausnahme bizarr und rätselhaft. In kurzen Szenen wird nicht erklärt, sondern nur gezeigt: seltsame Handlungen, deren Sinn erst nach und nach erkennbar wird, und auch dann nur für den, der genau aufpaßt. „Ich wollte einen Film über glaubwürdige Leute machen, die glaubwürdige Dinge auf eine unglaubliche Art tun“ sagt Egoyan selbst über „The Adjuster“.

Noah schießt mitten in seinem Schlafzimmer mit Pfeil und Bogen (worauf, sehen wir erst viel später); eine vornehme Frau setzt sich in der U-Bahn neben einen verdreckten Penner, führt seine Hand zwischen ihre Schenkel und blickt verzückt in die Kamera. Der Film scheint kaum eine Geschichte im herkömmlichen Sinne zu erzählen, aber trotzdem ist er extrem spannend, weil er wie ein raffiniertes, absurdes und hochintelligentes Rätsel aufgebaut ist. Und die Auflösungen sind genauso ungewöhnlich wie die Fragen.

In Egoyans Filmen werden die Menschen von der Bilderflut fast verschluckt. Fotos, Videos, Filme sind allgegenwärtig, und jeder definiert die Anderen und sich selbst durch diese „images“.

„Ich möchte in die Tiefe des Bewußtseins meiner Zuschauer dringen“

Egoyan dreht die Schraube immer weiter, und so bekommt jedes Bild eine neue, subversive Qualität. In einer Szene richtet ein Mann die Kamera ein, durch die wir ihn gleichzeitig sehen. Dann entfernt er sich von ihr, aber die Kamera folgt ihm bis ins nächste Zimmer. Nach der inneren Logik der Szene dürfte aber niemand mehr hinter der Kamera sein — wer macht welche Bilder von uns und wie verändern wir uns durch diese Bilder?

Atom Egoyan macht intellektuelle, fast philosophische Spielfilme und wird dabei immer perfekter, komplizierter und ironischer. Er fordert viel von sich und seinem Publikum: „Ich versuche nicht, obskur zu sein. Ich will kommunizieren. Hoffentlich mit einem Sinn für Humor. Ich möchte in die Tiefe des Unterbewußtseins meiner Zuschauer dringen.“ Wilfried Hippen

Schauburg 21 Uhr, Do.,Mo.-Mi. auch 23 Uhr