Kein kurzer Weg aus dem Suchtleid

■ Alexander Nobiling, Weddinger Drogenkoordinator, zu den Problemen mit dem »Wundermittel« Nemexin, daß bei Drogensüchtigen die Suchtwirkung »abschaltet«/ Keine Hilfe gegen Ursachen

taz: Eine Droge gegen die Sucht — ist Nemexin dieses Wundermittel?

Alexander Nobiling: Man muß sehen, warum Menschen überhaupt Drogen nehmen. Drogen steht für befriedigenden Kontakt mit anderen Menschen, Suche nach Nähe und Zuwendung. Oft sind auch Kindheitserlebnisse bestimmend für suchtdisponierte Persönlichkeitsstrukturen. Und wir haben sehr oft auch einen kombinierten Gebrauch von Suchtstoffen.

Das Nemexin unterbricht lediglich die Wirkung aber nicht die Ursachen, die mit der Sucht zusammenhängen. Das führt dazu, daß weder der Drogenhunger weg ist, noch die Entzugserscheinungen damit kompensiert werden. Das Verlangen bleibt.

Wenn die körperliche Seite der Sucht durch Nemexin-Gebrauch keine Rolle mehr spielt, können in einer Therapie die Gründe des Suchtverhaltens besser aufgearbeitet werden.

Wenn es in dieser Kombination passiert, ist gegen dieses Mittel nichts einzuwenden: Nemexin als eine Korsettstange und Rückhalt für das Ziel, das Leben zu verändern. Es darf aber nicht die Illusion vermittelt werden, hier könnten mit einer Pille die ganzen sozialen Komponenten ohne weiteres mitbehandelt werden. Wenn man das nicht berücksichtigt, fällt man wieder ins alte Drogenleben zurück, wenn das Nemexin abgesetzt wird.

Andere Drogen trotz Nemexin-Behandlung

Gerade in Streßsituationen, und Fixer leben in Extremsituationen, weil beispielsweise die Wohnung weg ist oder die Beziehung gescheitert ist oder Knast droht. Wenn dann nicht gleichzeitig eine andere Hilfe möglich ist, mit dieser Situation umzugehen, kommt der Wunsch nach Drogen verstärkt wieder hoch.

Welche Erfahrungen machen sie mit Leuten, die Nemexin nehmen?

Unsere Hauptkritik richtet sich gegen die zu kurz gegriffenen Vorstellung, daß es möglich ist, mit so einem Präparat auf den ganz schwierigen Prozeß der Lebensveränderung zu verzichten. Nemexin kann nur ein Hilfsmittel sein, um diesen Prozeß zu unterstützen.

Welche gesundheitlichen Folgen kann der unkontrollierte Nemexin- Gebrauch haben?

Wir hatten vor kurzem eine Frau in der Beratung, die Nemexin nahm und deswegen Beratungsangebote ablehnte. Jetzt mußte sie in eine Intensivstation eingeliefert werden. Wer Nemexin nimmt, muß gänzlich auf andere Drogen verzichten. Weil bei Nemexin-Gebrauch keine Drogenwirkung eintritt, versuchen Fixer, die gewünschte euphorisierende Wirkung durch höhere Dosen anderer Mittel zu erreichen. Die tritt auch dann nicht ein, dafür aber Komplikationen wie schwere Atembeschwerden.

Der kurze Weg ist nur eine Illusion

Nemexin ist also kein Mittel, welches die Drogenpolitik revolutioniert?

Für sich genommen nicht. Wenn es im Rahmen einer Klinik passiert oder einer guten ambulanten Versorgung mit mehreren Kontakten wöchentlich, dann mag das seinen Sinn haben. Wenn suggeriert wird, da gibt es ein Mittel, bei dem man die Sucht vergessen kann, wenn man es einnimmt, dann funktioniert das nicht. Wenn Leute meinen, sie könnten auf kurzem Wege das ganze Leid, welches mit Sucht verbunden ist, mit einem Präparat lösen, dann ist das eine Illusion.

Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski