Ökologische und soziale Not haben dieselben Ursachen

■ betr.: "Krise der Ökologie", taz vom 12.2.92

betr.: „Krise der Ökologie“, Debattenbeitrag von Harry Kunz,

taz vom 12.2.92

Das ehemalige Mitglied des Landesvorstandes der Grünen NRW Harry Kunz ist zur SPD konvertiert. Bemerkenswert ist denn auch sein Sinneswandel über die Partei des Fensterreden-Ökologen Harald B.Schäfer. Er unterstellt der SPD denn auch ein anerkanntes ökologisches Profil, das in der Realität folgendermaßen aussieht: Harald B.Schäfer lehnt sich als Vorzeige- Umweltler aus dem Fenster, seine Fraktionskollegen Hans Berger (IGBE-Chef) und Herrmann Rappe (IG- Chemie-Chef) ziehen ihn wieder rein, falls es zu gefährlich wird; für die Industrie, versteht sich. Immerhin hat Harry Kunz bei den Sozis gelernt, daß soziale Not die Menschen mehr bewegen kann als der Zustand der Umwelt. Es wäre interessant zu erfahren, wie der heimliche Mitautor des Ökomanifestes der Aufbruch- Grünen heute über das „Primat der Ökologie“, hinter der soziale Belange zurückzustehen hätten, denkt. Wieso er den Grünen unterstellt, mit der Ökologiebewegung identisch zu sein, bleibt schleierhaft, dies war nie so und ist es heute erst recht nicht mehr. Die grüne Krise zur Krise der Ökologie zu erklären, ist deshalb unzulässig.

Wenn denn die Ökologiedebatte in einer Sackgasse steckt, sollten wir uns die Frage stellen: Für wen steckt sie dort? Ziel einer emanzipatorischen ökologischen Politik kann es nicht sein, zuzulassen, daß mit hohem Aufwand Natur zerstört und Gifte produziert werden, um mit noch höherem Aufwand Natur zu reparieren und mit ganz vielen Filtern Gifte aus der Umwelt fernzuhalten. Es kommt auf eine Änderung der Entwicklungslogik an. Auf eine Änderung der Produktion und Konsumption.

Oft genug wird gesagt: In unserer Gesellschaft sind wir alle gleich schuldig — an der Umweltzerstörung. Ist dies wirklich so, oder stellt sich nicht vielmehr die Frage: Wer hat die Macht — und wer hat die Macht, Umweltzerstörung zu verhindern? Ein differenziertes Bild von Gesellschaft tut hier Not. Natürlich tragen wir alle bei — zur Umweltzerstörung. Die Gesellschaft als monolithischen Block zu betrachten, führt uns hier jedoch nicht weiter. Die unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten von Individuen und Strukturen gilt es zu analysieren — und die Strukturen so zu verändern, daß individuelle Eingriffsmöglichkeiten eröffnet werden — im Sinne aller Individuen, gegen Umweltzerstörung.

Die Ursachen von Naturzerstörung und sozialem Elend sind dieselben, und ohne Lösung der sozialen Frage gibt es keine Rettung der Natur. Wer Umweltzerstörung verhindern will, muß die Menschen in die Lage versetzen, überhaupt zwischen Alternativen des Lebens entscheiden zu können. Dies gilt für die Menschen in der Sahelzone und im tropischen Regenwald. Dies gilt aber auch in den Metropolen des Kapitalismus. Die soziale Lage und die Eingriffsmöglichkeiten von Individuen zu berücksichtigen, muß Bestandteil ökologischer Politik sein.

Wer ökologischer Politik zum Erfolg verhelfen will, darf sich nicht nur innerhalb der von der herrschenden Politik abgesteckten Arenen bewegen, muß über den Tellerrand einer Zwei-Drittel-Gesellschaft hinaussehen. Aus zweierlei Gründen:

1.Verblüfft (oder auch nicht) wird mensch feststellen: Was Zwei-Drittel-Sicht bei Binnensichtweise ist, reduziert sich beim Blick aus den Fenstern der Metropolen des Kapitals auf Ein-Zehntel-Sichtweise — global betrachtet.

2.Eine Diskussion über notwendige Veränderungen und Umverteilungen darf sich nicht auf die Möglichkeiten und finanziellen Ressourcen des größten Teils der Bevölkerung, den abhängig Beschäftigten und der nicht erwerbstätigen Bevölkerung beschränken. Sichtweise herrschender Sozial- und auch Umweltpolitik ist: Unternehmensgewinne sind der eine Kuchen, an den nicht herangegangen werden darf. Einkommen aus Erwerbsarbeit der andere Kuchen, den sich der erwerbstätige und nicht erwerbstätige Teil der Bevölkerung zu teilen haben. SPD-Vize Oskar Lafontaine hat dies in seiner 1988 in die 35-Stunden-Debatte eingebrachten Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich am deutlichsten veranschaulicht. 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich für untere und mittlere Einkommen, wie damals gefordert, sind nur finanzierbar, wenn der Unternehmerkuchen hierzu beiträgt. Da dies die Aufkündigung des sozialen Friedens zwischen SPD und KapitalvertreterInnen zur Folge hätte, ist der Lafontaine-Vorschlag nur logisch: Umverteilung innerhalb einer Klasse. Weniger arbeiten mit weniger Einkommen, wodurch (vielleicht) mehr Menschen Arbeit finden. Nur der Erwerbsarbeitskuchen darf zur Disposition gestellt werden, was natürlich auch für die Umweltpolitik der SPD gilt: Ökologisches Handeln wird zum individuellen Beitrag der Erwerbsbevölkerung deklariert, der folglich auch durch sie zu bezahlen ist. [....]

Eine ökologische und soziale Zukunft der Menschen sollten wir uns als gemeinschaftlich zu organisierende Daseinsvorsorge vorstellen, ohne auf der Strecke Gebliebene in einer lebenswerten und intakten Umwelt! Nur so hat ökologische Politik eine Zukunft. Wolfgang Kühr, Sprecher des Projektbereichs Radikalökologie der Ökologischen Linken/Alternative Liste, Essen