Kein Chinatown für Budapest

Die ungarische Regierung will die 20.000 eingewanderten Chinesen wieder loshaben und führt Visapflicht ein  ■ Aus Budapest Tibor Fenyi

Budapest (taz) — Die ungarische Außenpolitik hatte wirklich ihre Glanzzeiten. Vor zwei Jahren wurde jede Woche der Visumzwang gegenüber irgendeinem Land der Welt aufgehoben. Und die Ungarn jubelten. Heutzutage sind die Beamten des Budapester Außenministeriums dagegen stolz, wenn es gelingt, die Einreisehürden für dieses und jenes Land wiederaufzubauen. Vergangene Woche erklärte zum Beispiel Innenminister Peter Boross, man müsse sich die Einschränkung der Visafreiheit tatsächlich überlegen — einige Tage später wurde er vom Außenministerium dafür gelobt.

Das erste Land, das von dieser Verschärfung betroffen sein wird, dürfte China sein. Zwischen den beiden Volksrepubliken hatte es während der KP-Ära keinen Visumzwang gegeben — allerdings war auch der Reiseverkehr recht gering. Nach dem Sturz des Kommunismus in Osteuropa änderte sich dies: Die Chinesen schlugen Ungarn umgehend der westlichen Welt zu. Innerhalb kurzer Zeit vervielfachte sich die Zahl der aus Peking oder Kanton nach Budapest Kommenden: Sie betrachteten das Land als Sprungbrett Richtung Westeuropa und hofften, in Budapest Einreisevisa zu erhalten.

Lange Zeit hindurch kümmerten sich die ungarischen Behörden überhaupt nicht um diese Reisenden. Im Gegenteil: Immer wieder wurde über die Möglichkeit der Niederlassung einer größeren Zahl von Chinesen in Ungarn verhandelt. Mit ihrem Fleiß und Kapital sollten sie Ungarn in die neue Zeit verhelfen. Deshalb hätten Magyaren Einwanderer aus Honkong zwar lieber gesehen als Rotchinesen, konnten sie sich doch von ihnen erhoffen, einen bestimmten Betrag in Dollar mitzubringen; doch anstelle der kapitalistischen Chinesen kamen die „Volkschinesen“. Denjenigen, die sich entschieden hatten, in Ungarn zu bleiben — und das waren viele —, bot sich eine leichte juristische Lösung an: In der Hoffnung auf das Hereinströmen westlichen Kapitals hatten die Ungarn verfügt, „leitenden Persönlichkeiten“ von Joint-ventures automatische Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen zu geben. Die Chinesen gründeten daher der Reihe nach hübsche kleine Firmen mit jeweils zehn, 15 oder auch 18 „Geschäftsführern“, dafür ohne einen einzigen Angestellten. Binnen zwei Jahren kamen auf diese Weise etwa 20.000 Personen nach Ungarn.

Besonderen Ärger bei den ungarischen Behörden verursachte die Tatsache, daß ein Großteil der Chinesen die Traditionen des asiatischen Handels hierzulande weiterführten: Anfangs verkauften sie Souvenirs, die sie von daheim mitgebracht hatten. Später kamen jedoch geschmuggelte Zigaretten, falsche Armbanduhren und Parfüms dazu. Obendrein liefen die „Geschäfte“ meist auf den Straßen — vom Steuernzahlen war selbstverständlich keine Rede. Es war klar, daß die ungarischen Behörden früher oder später etwas unternehmen würden — niemand rechnete aber damit, daß die Fremdenpolizei die Traditionen des kommunistischen Systems wiederbeleben wollte. Von einem Tag auf den anderen wurden nämlich die Chinesen auf Straßen und in Wohnungen eingesammelt und ohne Erklärung in ein Internierungslager mit katastrophalem Standard gesteckt. „Aber wir wollen sie ja nur schonen“, erlärte Julianna Czegeny, Leiterin der Fremdenpolizei. Die Chinesen würden zum Flugplatz gebracht und in ihre Heimat abgeschoben. Daß ihnen dort lange Haftstrafen drohen könnten, kam ihr nicht in den Sinn — als ob sie vor wenigen Jahren nicht selbst Leute vor Gericht gebracht hätte, die beim Fluchtversuch aus Ungarn erwischt worden waren.

Seltsamerweise wendet sich in Ungarn die Sympathie nicht von denjenigen ab, die einreisen wollen. Journalisten, Abgeordnete und Juristen unternahmen einiges, um die Polizeiaktion zu verhindern. Die oppositionelle Abgeordnete Ottila Solt: „Es ist selbstverständlich, daß Ungarn nicht sämtlichen Chinesen Schutz bieten kann, aber die nachträgliche Abschiebung ist keine Lösung. Man muß eine eindeutige Rechtslage schaffen.“ Im Innenministerium vertritt man die Meinung, dies sei mit Hilfe der Wiederherstellung des Visumzwanges möglich. Daß es jedoch nicht allein um die Chinesen geht, ist aus einer Erklärung des Sprechers der Grenzwache vom 11. Februar herauszulesen: „Seit Oktober 1991 hat die ungarische Grenzwache 280.000 ausländischen Staatsbürgern die Einreise verwehrt.“