Das Bild ist schief

■ »Brecht und die Frauen« — ein Nachtprogramm in der Schiller Theater Werkstatt

Die Bühne ist klassisch dreigeteilt: Links, vom Zuschauer aus betrachtet, sitzen und spielen die beiden Musiker, Ekkehard Scholl am Klavier und Klaus Balzer mit der Gitarre in der Hand. In der Mitte dann ein schlichter Tisch und zwei ebenso schlichte Stühle. Auf ihnen Hilmar Thate und Angelica Domröse. Rechts schließlich viel leerer Raum und ein Porträt von Bertolt Brecht, zwischen Bühnenboden und Bühnenwand eingeklemmt. Das Bild steht schief.

Schief ist auch das Bild von Bertolt Brecht und seinen Frauenbeziehungen. Was haben sich nicht schon kluge Köpfe dieselben zerbrochen, um herauszufinden, ob »Bidi« nun besonders frauenfeindlich oder frauenfreundlich war; haben seine zahlreichen Liebesgedichte und Frauenrollen auseinandergenommen und dabei festgestellt, daß Brecht ein gefühl- und verantwortungsloser Schurke gewesen sein muß. Oder aber — dem entgegengesetzt — auf der Suche nach einem neuen, unabhängigen Frauentyp war. Helene Weigel, seine ihm wohl ebenbürtigste und damit auch die kontinuierlichste Partnerin, vertraute einmal der gemeinsamen Tochter an: »Dein Vater war ein sehr treuer Mensch. Leider zu zu vielen.«

Hilmar Thate und Angelica Domröse vermeiden direkte Statements zu dieser Diskussion. Ohne auch nur ein einziges einleitendes Wort gehen sie gleich in medias res, lassen den Autor selbst in seinen erst posthum veröffentlichten Liebesgedichten, seinen Briefen, Tagebuchnotizen und Balladen zu Wort kommen. In schneller Abfolge, an einem biographischen Leitfaden orientiert, rezitieren die beiden Schauspieler Brecht und lassen keine Zeit für Sentimentalitäten. Überrumpelt und fast ungerührt lauscht man der Ballade von den Abenteurern, hört Vom armen BB und bemerkt dabei gerade noch den leicht spöttischen Seitenblick Thates auf das Porträt. Vorüber ziehen Pflaumenlieder und Liebeslieder oder die etwas derbere Gardinenpredigt: »Sei doch einmal ein netter Junge und küß mal wieder mit der Zunge«.

Und langsam und schleichend erwischt es einen dann doch. Worte und Sätze fügen sich zu einem poetischen Ganzen, tragen den Lauschenden davon, lassen ihn melancholisch stimmen oder auflachen. »Nun muß das Gefühl auch auf seine Kosten kommen«, leitet Hilmar Thate ein gemeinsam gesungenes Lied aus der Dreigroschenoper ein. Gefühl heißt hier Kitsch, ein roter Lichtkegel umhüllt die beiden, und eine silberne Kugel läßt kleine, leuchtende Pünktchen die Bühne umkreisen.

»Ich mach' mich mal ein bißchen schön«, sagt die Domröse, zieht einen Spiegel von irgendwo her und malt sich die Lippen an. Mit brüchiger, zitternder Stimme singt sie das Lied eines Freudenmädchens und bewegt sich dazu ein wenig ungelenk. Als Seeräuberjenny wiederum steht sie einfach nur da und poliert ausdauernd ein imaginäres Glas in den Händen.

Es sind kleine, prägnante Gesten, meistens nur eine für ein Gedicht oder ein Lied, die so simpel die jeweilige Grundstimmung untermalen. Angelica Domröse und Hilmar Thate haben sich in den Dienst von Bertolt Brecht gestellt. Keine Schauspielermanierismen werden vorgeführt, kein überflüssiger Bühnenzauber veranstaltet — alle Energie und Liebe fließt in die Worte. Spricht oder singt die Domröse, sackt ihr Partner in seinem Stuhl zusammen und verfolgt sie leise lächelnd mit den Augen. Ist Hilmar Thate an der Reihe, stützt sie ihren Kopf in die Hand und scheint ganz weit weg zu sein. Was sie wohl auch ist, denn plötzlich verpaßt sie ihren Einsatz und kann es gar nicht fassen, dran zu sein. Mehrmals wiederholt sie die Überschrift ihres Gedichtes, um sich den Text zu vergegenwärtigen: »Sonett Nr.19, Sonett Nr.19, Sonett Nr.19«.

Am Ende dann tun sie sich noch einmal zusammen und rezitieren den Dialog von Jenny und Paul aus Mahagonny. Wehmütig, traurig und wunderschön. Zwei Kraniche als poetische Metapher für die brechtgemäße Liebe:

»Paul: Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?

Jenny: Seit kurzem.

Paul: Und wann werden sie sich trennen?

Jenny: Bald.

Beide: So scheint die Liebe den Liebenden ein Halt«. Anja Poschen

Nächste Vorstellungen: heute, 6. und 14.3. jeweils um 21.30 Uhr in der Schiller Theater Werkstatt