Nagelprobe

■ Der georgische Regisseur Eldar Schengelaja sprach über Minderheiten in seinem Land

Kein Wort über Film verlor der georgische Regisseur Eldar Schengelaja an diesem Abend. Vielmehr ging es bei der Podiumsdiskussion am Mittwoch im Rathaus Schöneberg um die aktuelle Lage seines Landes. Eldar Schengelaja war Jurymitglied bei der am Montag zu Ende gegangenen Berliner Filmfestspielen. Als einer der Oppositionsführer gegen Gamsachurdia mußte er bis zu dessen Vertreibung aus Tiflis emigrieren. Seit der Flucht des ehemaligen georgischen Präsidenten im Januar ist Schengelaja Mitglied der provisorischen Regierung in Georgien.

In der Diskussion, die vom Berliner Verein Deutsch-Sowjetische Kontakte veranstaltet wurde, ging es hauptsächlich um den Minderheitenkonflikt in Georgien. »Das ist ein sehr schmerzhaftes Problem für Georgien«, sagte Schengelaja, »aber auch für die gesamte ehemalige Sowjetunion.« Fast ein Drittel der Bevölkerung gehört sogenannten Minderheiten wie Armeniern, Aserbaidschanern und Osseten an, die teilweise in autonomen Republiken leben. Der Minderheitenkonflikt sei eine natürliche Konsequenz der kommunistischen Politik, so Schengelaja, »der Staat wollte die Kulturen liquidieren und in die gemeinsame russische Form bringen«. Dieses Experiment sei gescheitert.

Die Berliner Politikwissenschaftlerin der Freien Universität, Tessa Hoffmann, beklagte die Menschenrechtsverletzungen, die gegenseitig etwa im süd-ossetischen Konflikt begangen wurden. Im Jahr 1989 gab es in Georgien eine Kampagne gegen Mischehen, die georgische Sprache wurde zum Pflichtfach in den Schulen. »Das ist ganz klar Rassismus, der nicht dadurch entschuldigt wird, daß die Georgier selbst unterdrückt wurden.« Die Georgier hätten eine Doppelrolle: Sie wurden in der Geschichte unterdrückt durch die Fremdherrschaft von Persern, Türken und Russen, und sie selbst unterdrückten ihre Minderheiten.

Im vergangenen Jahr sind 100.000 Süd-Osseten nach Nord- Ossetien geflohen. Die Mehrheit der Osseten sprach sich für eine eigene Republik aus. Tessa Hoffmann sagte, für sie bestehe kein qualitativer Unterschied im Anspruch auf Souveränität zwischen Georgiern und Osseten, auch wenn das ossetische Gebiet nur die Größe des Saarlandes hätte. Gegen eine Zersplitterung in kleine Republiken war Schengelaja: »Wenn Nord- und Süd- Ossetien eine eigene Republik werden, wo bleibt dann Georgien?« Dann seien die Georgier Gast im eigenen Land. Für ihn gebe es nur die Lösung eines demokratischen Staates, in dem alle Nationalitäten friedlich koexistieren könnten. Dafür plädierte auch der Friedensforscher Albert Statz, die ethnische Frage solle als soziale und demokratische Frage diskutiert werden. Die Diskussion darüber, wer wem was weggenommen habe, fände er »zum Kotzen«.

Die blutigen Auseinandersetzungen in Georgien waren mit der Vertreibung Gamsachurdias nicht vorbei. In Georgien herrscht Bürgerkrieg. Dörfer, Familien und einzelne Menschen kämpften gegeneinander, so Schengelaja. Nachdem die provisorische Regierung demokratische Reformen wie Pressefreiheit und Parteienlegalisierung durchgeführt habe, sei es jetzt die schwierigste Aufgabe, ein Waffenverbot durchzusetzen — »wir haben es ja nicht mit Armeen zu tun, sondern mit einzelnen Menschengruppen«. Ob es der Regierung gelingen werde, den Minderheitenkonflikt zu lösen, sei »die Nagelprobe für die Demokratie«, resümierte Tessa Hoffmann. »Wer den Separatismus nicht will, muß den Völkern Minderheitenschutz per Verfassung bieten.« Corinna Emundts