Ein ganzer Bezirk wird arbeitslos

■ In Treptow, ehemals größter Industriestandort Ost-Berlins, gibt es kaum noch Arbeitsplätze/ Bezirksverordnete streiten sich aber lieber über Müllhalden auf dem ehemaligen Grenzstreifen

Treptow. Bürgermeister Michael Brückner eröffnet die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit einer schlechten Nachricht — den Arbeitslosenzahlen. In seinem und dem angrenzenden Köpenicker-Bezirk sind 17.839 Menschen ohne Beschäftigung. Vor der Wende hatten allein in Treptow etwa 55.000 Arbeitnehmer einen Job, heute seien 15.000 übriggeblieben, schätzt IG- Metaller Lutz Epperlein, Betriebsrat bei »Tro«, ehemals Transformatorenwerk Oberschöneweide. Treptow und Köpenick zählten zu Zeiten der DDR zu den größten Industriestandorten Berlins — jetzt zu den Stadtteilen mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote liegt bei 17 Prozent.

Der SPD-Bürgermeister kündigt den 100 Bezirksparlamentariern an, daß er sich erneut um mehr ABM- Stellen bemühen werde sowie darum, daß sich produzierendes Gewerbe in Treptow ansiedele. Dann ist das Thema von der Tagesordnung, die Verordneten beginnen, sich über illegale Müllhalden auf dem Grenzstreifen zu streiten. Erst jetzt kommt es unter Treptows Feierabend-Politikern zu längeren Diskussionen und konträren Ansichten. Das vorausgegangene Thema über die wirtschaftliche Misere schien dagegen wenig zu interessieren. Vielleicht erregen sich die Gemüter im Treptower Rathaus lieber über kleine, übelriechende Müllberge auf dem Grenzstreifen, weil sie Abfall schneller beseitigen können als Arbeitslosigkeit.

Im Gespräch mit der taz ist der Unrat wieder das erste, wovon Bürgermeister Brückner spricht. Doch auch unabhängig davon sollten die Treptower im Mai die SPD wählen, weil das sozialdemokratische Programm einfach das beste sei. Er wolle Arbeitsplätze erhalten und schaffen, den Grünstandort Treptow schützen und für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Doch das wollen alle Fraktionen. Worin sich die SPD beispielsweise von der CDU unterscheidet, vermag Brückner, der wieder für das Bürgermeisteramt kandidiert, nicht zu verdeutlichen.

Seine Kontrahentin, die Wirtschaftsstadträtin Petra Kautz, die für die CDU als Bürgermeisterin antritt, kann ebenfalls kaum Unterschiede ausmachen: »Die Probleme im Bezirk sind zu groß, wir bemühen uns um Sachentscheidungen.« Ob in dieser Situation verschiedene Parteien überhaupt einen Sinn machen, weiß sie nicht. In die CDU sei sie vor Jahren eingetreten, weil sie christlich erzogen worden war und auch heute christlich orientiert sei. Ihren Einfluß auf die Entscheidungen über die letzten noch vorhandenen Treptower Großbetriebe schätzt Kautz eher gering ein. Der Bezirk sei den Entscheidungen der Treuhand ausgeliefert. Zusammen mit Brückner führt sie mit dem offiziellen Nachlaßverwalter der DDR-Geschichte Gespräche. Der Aufschwung werde aber auch durch ungeklärte Eigentumsverhältnisse verzögert.

Ungeklärte Eigentumsverhältnisse sind ein Grund, warum es mit dem Renommee-Projekt eines geplanten Forschungs- und Entwicklungszentrums auf dem ehemaligen Gelände der Akademie der Wissenschaften nicht vorangeht. Irgendwann sollen dort 1.318 Arbeitnehmer einen Beruf ausüben, kündigte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) an, als er dem Bezirk im Januar einen Besuch abstattete.

Die Identität des Industriestandortes ist dennoch dahin. Gewerkschafter Epperlein kann nur von geplanten Entlassungen berichten — ob nun in Treptow oder Köpenick. Die Kabelwerke Oberspree (KWO) wollen die jetzigen 2.400 Arbeitsplätze auf 1.000 reduzieren, die KWA den Rest von 420 Mitarbeitern ganz entlassen, das Funkwerk Köpenick habe Entlassungen angekündigt, das Werk für Fernsehen will von 1.500 nur noch 900 weiterbeschäftigen. Epperlein sieht nur eine Chance, Arbeitsplätze zu erhalten. Die Treuhand dürfte nicht voreilig privatisieren, sondern die Betriebe müßten in einer Übergangszeit subventioniert weiterarbeiten, »wie beim Salzgitter-Konzern damals«. Der Betriebsrat glaubt, daß sich die Wirtschaftsunternehmen fangen könnten.

Wirtschaftsstadträtin Kautz hofft, daß der größte Schwung der Entlassungen »durch« ist. Jetzt müsse der arbeitsplatzintensive Mittelstand erhalten und aufgebaut werden. Die Identität Treptows sei verloren — jetzt sei der Bezirk nur noch der zweitgrößte Grünflächenbezirk im Ostteil der Stadt. Darin sieht sie eine neue Perspektive. Mit acht Ortskernen könnten die Treptower für den Tourismus einiges bieten.

Die PDS scheint zwei Monate vor der Wahl noch nicht im Wahlkampffieber. Fraktionsvorsitzende Karola Goldmann will ihre Partei mit Themen wie Straßenumbennungen im Sinne der Anwohner, mehr Transparenz bei den Rathausentscheidungen sowie die Unterstützung von Mieterinteressen auf Platz zwei halten. Darüber hinaus hat Goldmann kaum Vorstellungen, was die Große Koalition besser machen müßte.

Am profiliertesten zeigt sich die viertgrößte Fraktion, Bündnis 90/Grüne. Sie waren ursprünglich in der Koalition mit der SPD und CDU vertreten, verließen die Bezirksregierung aber im Juli vergangenen Jahres. »Wir wurden mit ökologischen Anliegen nicht ernst genommen«, begründet Fraktionschef Uwe Weber den damaligen Austritt. Die beiden anderen Fraktionen hätten sich nicht einmal an Koalitionsvereinbarungen gehalten. Höhepunkt sei gewesen, daß damals das Natur- und Grünflächenamt dem Baustadtrat zugeschlagen worden war, »unser Umweltstadtrat hatte überhaupt keinen Einfluß mehr«. Dirk Wildt