IM RHYTHMUS DER WELT ÜBER DEN BILDSCHIRM Von Günther Grosser

Sicher erinnert man sich noch an die possierlichen Hundefiguren, deren Köpfe, an einer Feder aufgehängt, beständig hin und her wackeln, jene braunen Plastiktiere, die als Dekoration auf den rückwärtigen Ablagen vieler Autos eine Zeitlang — war es in den Siebzigern? — für beständige Unruhe in den nachfolgenden Fahrzeugen sorgten. Jetzt sind sie wieder da. Allerdings nicken sie inzwischen aus den Fernsehapparaten als Nachrichtensprecher. Es ist Bewegung in die deutschen Abend-, Tages- und sonstigen Nachrichtenschaus gekommen, und Ruhe ist nicht mehr erste Bürgerpflicht. Die starren Zeiten eines Karl-Heinz Köpcke sind vorbei; die Riege der Talking Heads nickt und wackelt, was das Bildschirmformat hergibt, angeführt von der Tagesthemen-Moderatorin Sabine Christiansen, die jedem unbedarften Fernseher das Sitzen in der ersten Reihe zur beständigen Parforcejagd über Vertikale, Horizontale und — schwupps — Diagonale gestaltet.

Natürlich liegt der Ursprung auch dieser TV-Neuerung wieder einmal in den USA. Beim Nachrichtenkanal CNN hat man die Kopfbewegung zur Perfektion entwickelt, und nickende Größen wie Catherine Crier beeindrucken durch eine Beständigkeit in der Bewegung, die man sonst nur von Quartzuhren kennt. Hochschießende Augenbrauen, weit um die Vokale herumgeformte Münder, zuckende Augen oder beständig im Rhythmus der Welt über den Bildschirm wackelnde Köpfe — in Atlanta hat man es geschafft, die Nachrichen über die Bewegungen in der Welt durch die Bewegung der Nachrichten zu ersetzen und jedem Partikel Neuigkeit durch geschickt plazierte Tics seinen eigenen Platz im ewig sich drehenden Rad der Information zu geben. Daß die Deutschen in ihrem Hang zur freiwilligen Amerikanisierung da nicht allzu lange Widerstand zu leisten vermochten, versteht sich von selbst.

Seither nickt und wackelt zwischen ARD und PRO7 fast alles, was News-Rang und eingeblendeten Namen hat. Brigitte Bastgen vom ZDF wiegt den Kopf im Rhythmus der Sprache, Ulrike von Möllendorf schaukelt in der SFB-Abendschau unentwegt über gefalteten Händen hin und her, bei RTL Aktuell praktiziert Ingelis Guntzmann ein pointiertes Wanken, und Christiane Gerbroth von Pro 7 Tagesbild kämpft gegen einen unwiderstehlichen Zug ihres Kinns nach links unten, dem sie hin und wieder nachgibt. Nur Dagmar Berghoff zögert noch.

Hinter alledem steckt die Befürchtung, so steht zu vermuten, daß wir hier draußen allmählich das Interesse an der letzten Tagung des Un-Sicherheitsrates verlieren könnten, wo wir uns doch noch nicht einmal den Namen des neuen UN-Chefs Butros — Kopf schwingt nach links — Gahli merken können. So gesehen, handelt es sich bei der neuen Beweglichkeit um eine weitere Anstrengung des Info-Pools, uns bei der Stange, sprich: Mattscheibe zu halten.

Resistent gegen die Inflation an Mobilität blieb nur die Garde rundfunkgeschulter Vorleser, die in den TV-Regionalprogrammen die Kurznachrichten weiterhin mit bravouröser Ruhe von allen emotionalen Schlacken freihält. Und natürlich Wilhelm Wiebe, Tagesschau-Matador und die Ruhe selbst. Mit eisernem Willen meistert er die Namen der nordkoreanischen Ministerriege und läßt anschließend bewegungslos und spröde die kalifornische Flutkatastrophe über sich ergehen. Lediglich vor der Wetterkarte ringt er sich ein winziges Lächeln ab.