Essen Sie gern Gen-Geschnetzeltes?

EG-Kommission will Verordnung für die ungehinderte Zirkulation gentechnisch produzierter Lebensmittel erlassen  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Lediglich 7,6 Prozent der sonst so obrigkeitshörigen Deutschen vertrauen — was Informationen über Gentechnologie betrifft — ihren öffentlichen Autoritäten, verschwindende 1,1 Prozent der Industrie. 31 Prozent glauben dafür zum Leidwesen der EG-Kommission, die diese Daten letztes Jahr erheben ließ, den Konsumenten- und 27 Prozent den Umweltorganisationen. Daß die Skepsis angebracht ist, zeigt das neueste Vorhaben der EG-Behörde in Sachen Gentechnologie. Wenn sich die Kommissare dieser Tage in ihrem Brüsseler Hauptquartier zusammensetzen, wird es auch um Essen und Trinken gehen, genauer gesagt um „novel food“ — Joghurt, Käse, Milch, Wein, Bier und Brot, Tomaten nicht zu vergessen.

Neu sind dabei die zu deren Produktion eingesetzten Technologien. Sie werden, so die Gen-Lobby euphorisch, die Lebensmittelindustrie revolutionieren. Daß dies EG-weit gelingt und „die Zirkulation der neuen Lebensmittel nicht durch Verordnungen einzelner Staaten behindert wird“, dafür wollen die Kommissare mit einer Gesetzesinitiative sorgen. Mitte März soll sie bekanntgegeben, spätestens Ende des Jahres rechtzeitig zum Beginn des Binnenmarkts verabschiedet werden. Vorbeugend schlagen die Eurokraten dem in der EG letztendlich entscheidenden Ministerrat eine Verordnung statt der in solchen Fällen üblichen Richtlinie vor. Vorteil: Eine EG- Richtlinie muß von den zwölf Parlamenten nach einer bestimmten Frist in nationales Gesetz umgesetzt werden, kann also in dieser Zeit noch kritisiert werden. Die Verordnung hingegen ist unmittelbar nach ihrer Verabschiedung EG-weit geltendes Recht.

Essen Sie gerne gentechnisch Geschnetzeltes? Sinnlose Frage, denn sie haben bald keine Wahl mehr. Dafür aber der „Verantwortliche“ der Firma, die ein neues Lebensmittel auf den Markt bringen möchte. Drei Möglichkeiten bieten ihm die Eurokraten: Falls er der Meinung ist, eine Tomate sei eine Tomate, unabhängig davon, ob ein Gen-Doktor ihr ein Skorpion-Gen eingepflanzt hat, dann kann er sie ohne Aufsehen zu erregen auf den Markt bringen.

Sollte der „Verantwortliche“ jedoch, vielleicht um sein Gewissen zu beruhigen, für sein Produkt die Weihe der EG in Anspruch nehmen wollen, müßte er sich aus einer Liste von unabhängigen Sachkundigen einen auswählen, der ihm die Unbedenklichkeit seines Produktes bescheinigt. In diesem Fall bleibt der Firma noch, eine Kurzfassung des Gutachtens an die EG-Kommission zu schicken. Dort gibt man sich allerdings keinen Illusionen hin ob der „Unabhängigkeit“ der Experten. Daß sie auch in den Diensten der Industrie stehen, die sie beurteilen sollen, hält Binnenmarktkommissar Martin Bangemann für „vollkommen natürlich“.

Weniger natürlich und nach Ansicht der Gesetzestextler schon gar nicht wahrscheinlich ist, daß jemals die dritte Stufe der Kontrolle in Anspruch genommen werden wird. „In den wenigen Fällen, wo der Experte erwägt, daß das Lebensmittel nicht mit den herkömmlichen Methoden geprüft werden kann“, so die Erklärung zu dem Gesetzesvorschlag, „wird die Kommission benachrichtigt.“ Dort würde sich dann der „wissenschaftliche Lebensmittelausschuß“ und gegebenenfalls sogar der Ministerrat mit dem Problem beschäftigen müssen. Wichtig: Erst auf dieser Stufe will die Kommission erwägen, ob das Lebensmittel in irgendeiner Weise als neu gekennzeichnet werden soll. Die Frage, eß ich heute etwas gentechnisch Hergestelltes oder nicht, wird sich also für den zukünftigen Konsumenten nicht stellen.

Nur widerwillig erinnert man sich in der Kommission an einen Präzedenzfall in der Branche: Nach der Einname des in Japan gentechnisch hergestellten Schlaf- und Beruhigungsmittels L-Tryptophan, das in seiner natürlichen Form in der Milch vorkommt, waren in den USA und Europa über tausend Menschen schwer krank geworden, 27 starben.Um solche Nebenwirkungen in Zukunft zu vermeiden, hatte der Ministerrat bereits 1990 zwei Gen-Kontroll-Gesetze verabschiedet. Deren zentrale Schutzbestimmungen, so warnen die Euro-Grünen, werden in dem neuen Gesetzesvorschlag aber ausdrücklich außer Kraft gesetzt. Und eine Produzentenhaftung ist sowieso nicht vorgesehen. Der Gesetzesvorschlag sei das Papier nicht wert, auf das er geschrieben wurde, kritisiert deshalb die grüne Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer. Es handele sich dabei um eine „reine Auftragsarbeit im Interesse der Gentech-Industrie“.

Bislang werden auf dem deutschen Markt angeblich noch keine gentechnisch hergestellten Lebensmittel angeboten. In den Nachbarländern Schweiz und Großbritannien ist dies jedoch schon der Fall. Mit dem Binnenmarkt und dem Europäischen Wirtschaftsraum werden diese Produkte auch in der Bundesrepublik auftauchen. Schon jetzt gibt es keine Vorschriften für das Vermarkten von Lebensmittel wie Käse, deren Reifeenzyme (Kymosin) zwar von gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt werden, die aber selbst keine wild gemachten Gene enthalten. Derzeit geregelt und einer besonderen Genehmigung unterworfen ist in Deutschland allein das Inverkehrbringen von Produkten wie Joghurt, in denen sich gentechnisch veränderte Organismen tummeln. Doch auch diese Vorschriften sind den Freihandelsfans in der EG-Kommission ein Dorn im Auge.