Facelifting für einen Diktator

Am Sonntag erlebt Kamerun seine ersten halbwegs freien Parlamentswahlen. In erster Linie dienen sie zur Selbstlegitimation des Präsidenten Biya, einer der hartnäckigsten Autokraten Afrikas  ■ Von Volker Kleinophorst

Jaunde (taz) —Allabendlich, wenn sich die bleiern schwüle Tropennacht über die kamerunische Hauptstadt Jaunde senkt, stehen sie an Ecken und Plätzen: Junge, adrett gekleidete Mädchen, die mit großen Augen in die vorbeifahrenden Wagen schauen. Sie warten auf Freier, konkurrieren mit altgedienten femmes libres, um so an ein paar Francs zu kommen — Francs, mit denen sie oft eine ganze Familie ernähren müssen. Doch das Liebesangebot ist bei weitem größer als die Nachfrage. Zahlungskräftige Kunden sind trotz günstiger Tarife — die Nacht ab 20 Mark — rar geworden. Das Leben ist teuer.

Die Talfahrt der Bevölkerung in die Tiefen von Armut und echter Not verläuft immer schneller. Zerlumpte Menschen durchwühlen die zahllosen wilden Müllkippen nach Abfall, der noch irgendwie zu verkaufen sein könnte: Plastikflaschen, Dosen, Brotreste.

An den Ausfallstraßen kontrollieren Soldaten jeden ein- und ausfahrenden Wagen, konfiszieren auch schon mal einen Plastikkanister Palmwein vom Rücksitz oder verlangen „Gebühren“ für irgendwelche vermeintlichen Übertretungen. Die Einheimischen und les blancs, die im Land lebenden Weißen, kuschen vor den aggressiven, nachts oft angetrunkenen Ordnungskräften. Zahlen und fahren. Ärger vermeiden. Bloß kein „Verhör“!

Geschäftsleute verlassen das Land. „Die Krise“, stöhnen sie unter den schattenspendenden Bäumen ihrer Stammpinte „L'Unité“. Die Behördenwillkür gibt ihnen den Rest. „Ohne Schmiergeld läuft hier nichts“, weiß einer. „Aber die schneiden sich ins eigene Fleisch. Mit jedem Weißen, der das Land verläßt, werden fünf Kameruner arbeitslos.“

Er hofft, nach der Wahl am 1. März wieder groß ins Geschäft einzusteigen: mit Computern. Dagegen rechnet der schwitzende Gebrauchtwarenhändler mit den schlechten Zähnen eher mit einem großen Knall im seit 1966 von der Einheitspartei „Demokratische Sammlung des Kamerunischen Volkes“ (RDPC) regierten Land.

Viel hat sich angestaut in den letzten 26 Jahren — Korruption und Pöstchengeschiebe ließ den Lebensstandard des an natürlichen Ressourcen reichen Kamerun kontinuierlich schrumpfen. Ein guter Monatslohn für eine Haushälterin liegt heute bei 250 bis 300 Mark. Ein Neun- Quadratmeter-Zimmer in den Armenvierteln von Jaunde ohne fließendes Wasser kostet aber schon 180 Mark. Für einen Sack Maismehl, der eine Großfamilie 14 Tage lang ernährt, sind 100 Mark hinzulegen. Die Supermärkte der Hauptstadt führen importierte französische Lebensmittel zu Preisen, die sich kaum einer leisten kann.

Doch wer Arbeit hat, kann sich glücklich schätzen, und wer auch noch bezahlt wird, ist doppelt glücklich. Wegen Zahlungsschwierigkeiten verzögern sich die Beamtengehälter schon mal um zwei Monate.

Paul Biya: Abhängen verboten

Präsident und Diktator Paul Biya ficht dies nicht an. Seit knapp zehn Jahren ist er der starke Mann hinter den Gewehren, sein Konterfei hängt in jedem Büro, Geschäft, jeder Bar, sogar in den Aufzügen der Hotels. Nicht, weil der Staatschef seinen Landsleuten besonders am Herzen läge. Sie tun nur, wie ihnen befohlen wird. Abhängen verboten.

Nicht immer sind die Kameruner so gehorsam. Vor einem halben Jahr stand das Land am Rande eines Bürgerkrieges. Der monatelange Generalstreik „Operation Geisterstadt“ der vereinten Opposition zwang Biya fast in die Knie. Heute ist es ruhig — zu ruhig. Unter der Oberfläche gibt es ein zähes Ringen um Einfluß, Macht und Geld. Statt gemeinsam gegen Biya heißt es wieder: jeder gegen jeden. Traditionelle ethnische Strukturen bestimmen verstärkt das Leben — ob im moslemischen Norden oder bei den animistischen Völkern des südlichen Regenwaldes.

„Das Stammesdenken ist ein Stachel in unserem Fleisch“, analysiert Jean Ngobo. Der Hotelangestellte von der Ethnie der Beti spürt es am eigenen Leibe: Ngobo ist arbeitslos. Im Übernachtungsgewerbe von Jaunde ist für einen Beti kein Platz. Hier sind die geschäftstüchtigen Bamileke, die 80 Prozent der Wirtschaft des Landes kontrollieren, am Drücker. Und die kann Ngobo nicht ab: „Die alten Schleimer schleichen doch hinter jedem Portemonnaie her“, tönt er voller Zorn. „Anderen gönnen sie nichts.“ Als Beti würde er selber natürlich einem Bamileke nie über den Weg trauen.

Solcher Rassismus ist unter den 200 Ethnien des Landes heute selbstverständlich. „Tribalismus“ nennt man es, worunter in erster Linie das Teilen zwischen den Angehörigen einer Großfamilie zu verstehen ist. So wird sichergestellt, daß die eigenen Leute versorgt sind. Einen Job an ein Stammesmitglied zu vergeben, ist so nicht verdammenswerte Vetternwirtschaft, sondern eine Verpflichtung. Für Politiker oder hohe Militärs ist die Auswahl der engsten Berater und Leibwächter aus den Reihen des eigenen Stammes nicht Ämterpatronage, sondern eine Angelegenheit gesunden Menschenverstandes. Es verschafft Sicherheit, Beständigkeit, Autorität, Macht.

Vorteile aus den Rivalitäten zieht aber vor allem Präsident Biya, selber Beti, der nun nach den monatelangen Unruhen des letzten Jahres seine Allmacht „demokratisch“ ausüben will. Im einzigen Fernsehsender Kameruns beklagt der „Vater der Nation“ zwar wortreich die blutigen Stammesunruhen in Kousseri an der Grenze zum Tschad, die vor wenigen Wochen Dutzende von Toten forderten. Doch solche Fehden — diese entbrannte um einen Streit über die Eintragung ins Wahlregister — passen ihm gut ins Konzept. Motto: Demokratie ja, aber ohne ordnende Hand versinkt das Land im Chaos. Auch Straßensperren oder das Verbot, den protzigen, von israelischen Elitesoldaten bewachten Präsidentenpalast zu fotografieren, rechtfertigt er so: Alles zur allgemeinen Sicherheit. Nicht etwa, um politische Gegner einzuschüchtern.

Eingekauft und ausgespielt

Mittlerweile ist nicht einmal unwahrscheinlich, daß der Übergang zur Mehrparteiendemokratie mit einem Wahlsieg des Diktators endet. Geschickt hat Biya, seit er auf Druck des Auslands im Dezember 1990 Parteien zulassen mußte, die oppositionellen Kräfte eingeschüchtert, gekauft und gegeneinander ausgespielt.

Statt der von seiner streikenden Bevölkerung im Sommer und Herbst letzten Jahres geforderten Nationalkonferenz mit gesetzgebender Gewalt berief er im November 1991 eine Versammlung ein, zu der die Regierung, politische Parteien und von der Regierung — also von ihm selbst — ausgesuchte „bedeutende Persönlichkeiten“ geladen waren. Zur großen Überraschung der kamerunischen Bevölkerung endete diese réunion tripartite am 13. November mit einer Ergebenheitsadresse an Biya. Gemeinsam mit 40 der 60 anwesenden Parteien unterschrieb dieser ein Papier, in dem Änderungen der Verfassung versprochen wurden.

Über Versäumnisse der Regierung und die allgegenwärtige Korruption wurde kein Wort verloren. Vielmehr wurde ein Wahlgesetz verabschiedet, das Biya ohne weitere Manipulationen den Sieg bringen wird: Denn über die Einteilung der Wahlkreise entscheidet er allein. Mit wenigen großen Wahlbezirken in oppositionellen Regionen und vielen kleinen in seinen eigenen Stammesgebieten kann er völlig legal am kommenden Sonntag eine Parlamentsmehrheit erlangen und am Ruder bleiben.

Der Versuch der Oppositionsparteien, diese offensichtliche Farce mit einem erneuten Generalstreik zu kippen, ist schnell gescheitert. Nun rufen sie zum Wahlboykott auf und riskieren damit, der herrschenden Clique in die Hände zu spielen: Wer nicht antritt, kann auch nicht gefährlich werden.

Nicht mitspielen will zum Beispiel John Fru Ndi, charismatischer Führer der „Sozialdemokratischen Front“ (SDF) aus Bamenda im anglophonen Westen des Landes. Der Prediger, ein Bewunderer von Martin Luther King und Mahatma Gandhi, scheint moralisch integer und verkörpert allein dadurch einen im Land völlig neuen, nicht käuflichen Politikertyp. Sein „Starrsinn“, dem Regime immer wieder zu trotzen, hat ihn schon fast das Leben gekostet: Soldaten haben sein Haus beschossen, sein Auto verbrannt. Bei einer Kundgebung wurde Fru Ndi von „Ordnern“ verletzt.

Wie die SDF verweigern noch andere politische Gruppen die demokratische Komödie. Das eigene Wahlgesetz wurde von der Regierung bereits mehrmals gebrochen. Als sich bei Anmeldeschluß am 31. Januar nur zehn Parteien aufgestellt hatten, wurde kurzerhand die Einschreibefrist auf den 21. Februar verlängert. Um einen weiteren Anreiz zur Wahlteilnahme zu bieten, stellte Biya in einer Fernsehrede am 7. Februar — drei Wochen vor dem Wahltag — 500 Millionen CFA (2,9 Millionen Mark) Wahlkampfkostenzuschuß in Aussicht. So gelangten schließlich 19 Parteien auf die Wahllisten, oft geführt von ehemaligen Regierungsmitgliedern mit zahlenmäßig fragwürdiger Anhängerschaft.

Konzepte und politische Richtungen sind unter den Rivalen um die zukünftige Volksvertretung schwer auszumachen. Aussichtsreichste Gegenkandidaten gegenüber der RDPC sind die UNDP („Nationale Union für Demokratie und Fortschritt“) und UPC („Union des Kamerunischen Volkes“), beide nachgemeldet. Letztere, die 1960 den Franzosen die Unabhängigkeit abtrotzte, aber verboten wurde anstatt die Macht übergeben zu bekommen, ist bereits jetzt heillos zerstritten: Parteiführer Augustin Kodock ist für die Teilnahme an den Wahlen, der alte Unabhängigkeitskämpe Nde Nbumasah, den schon die Gallier nicht kleinkriegen konnten, hält mit seinen Anhängern unerbittlich dagegen.

Probleme scheint es auch mit den Wahlkarten zu geben, die zur Stimmabgabe berechtigen. Biya-Gegner klagen, ihre nicht zu bekommen. Für die Wahlen ist internationale Überprüfung angesagt — wer und woher und vor allem von wem ausgewählt, erfährt man nicht.

Sicher ist, daß die Franzosen Wahlbeobachter schicken. Ein hartnäckiges Gerücht, das unter anderem letzte Woche durch die Oppositionszeitung 'Le Messager‘ geistert, spricht von einem Geheimabkommen zwischen Biya und den verhaßten, hier immer noch Weltmacht spielenden ehemaligen Kolonialherren: Wenn der Präsident die ganze Angelegenheit einigermaßen geordnet und demokratisch hinkriegt, heißt es, gibt es für die regierende RDPC mindestens 140 der 186 Sitze im Parlament. Nach den Wahlen sollen dann die 186 Nationalvertreter bestimmen, daß der Staatspräsident nicht vom Volk gewählt wird, sondern die Nationalversammlung diesen Part übernimmt und damit zu Biyas Wahlverein wird. Der „demokratische“ Machterhalt wäre damit geritzt. Ein bei freien Präsidentschaftswahlen möglicherweise siegreicher Fru Ndi, der den Einfluß der Grande Nation schmälern würde, wäre abgewendet.

Falls es nicht klappt, haben Biya und seine Militärclique noch andere Möglichkeiten. „Ich habe Angst, wenn ich an den 1. März denke“, sorgt sich Oliver Batango, Lehrer an einer Grundschule in Mfou bei Jaunde: „Keiner weiß, wer sich wieviele Waffen besorgt hat. Warum haut Biya nicht einfach ab, mit seiner deutschen Freundin und all seinen Millionen? Jetzt kann er noch.“

Für eine „einmalige Sondergebühr“ von 1.000 CFA (6,50 Mark) bräuchte er am internationalen Flughafen von Duala nicht einmal die Koffer zu öffnen.