Aufschub für Paul Touvier

Paris (taz) — Neuer Aufschub für den Nazikollaborateur Paul Touvier: Der frühere Geheimdienstchef der Miliz von Lyon ist wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt, doch ob es überhaupt zum Prozeß kommen wird, ist noch immer nicht entschieden. Auf Antrag der Kläger beschloß das Pariser Appellationsgericht am Mittwoch, die Untersuchung zu verlängern. Nun soll ein kürzlich erschienener Historikerbericht über die Verantwortung des französischen Klerus in der Touvier-Affäre einbezogen werden. Die Studie soll die Anklage untermauern, denn im nächsten Schritt muß das Gericht entscheiden, ob die Beweise für einen Prozeß vor dem Schwurgericht überhaupt ausreichen. Touvier ist angeklagt, 1943 und 1944 elf Menschen ermordet und zwei deportiert zu haben. Weitere Vergehen, insbesondere Folter, sind bereits verjährt. Mit heute 77 Jahren kann Touvier seinen Lebensabend vermutlich geruhsam beenden, zumal er am besten weiß, wie stark in Frankreich die Kräfte sind, die einen Prozeß über die Kollaboration verhindern wollen.

Nach dem Krieg war Touvier zweimal in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden. 1971 wurde er von Pompidou in aller Stille begnadigt. Als die Milde des Präsidenten publik wurde, reichten die Kinder von Touviers Opfern neue Klagen ein, 1981 wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen. Polizei und Geheimdienst trieben Touvier jedoch erst auf, nachdem eine Zeitung 1989 enthüllt hatte, daß er in einem Kloster in Nizza lebte. Nach zweijähriger U- Haft wurde er im Juli 91 gegen Kaution freigelassen. Sein Verteidiger argumentiert, daß „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ grundsätzlich nur von Nazis, nicht aber von französischen Kollaborateuren begangen werden konnten — diese Ansicht sollen auch einige Richter teilen. „Wenn über 15 Prozent der Franzosen Front National wählen, dann wirkt rechtsextremes Gedankengut in allen Gesellschaftsbereichen, auch in der Justiz“, meint ein Pariser Anwalt. Tatsächlich ist noch nie ein Franzose für dieses Delikt verurteilt worden. Das Verfahren gegen René Bousquet schleppt sich ebenfalls seit Jahren hin; der frühere Polizeichef von Vichy hatte 50.000 Juden verhaftet. Bettina Kaps