INTERVIEW
: Kommt die Promillegrenze für kiffende Autofahrer?

■ Der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic über seine Gründe, das Cannabisverbot für verfassungswidrig zu halten

In einem aufsehenerregenden Beschluß hat der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic (44) erklärt, er halte das Verbot von Haschisch für verfassungswidrig. Nun soll das Bundesverfassungsgericht klären, ob das grundgesetzlich geschützte „Recht auf Rausch“ auch für Cannabiskonsumenten gilt.

taz: Herr Neskovic, Sie plädieren für ein Recht auf Rausch. Müßten Sie mit dieser Argumentation nicht auch für die Legalisierung von Kokain und Heroin eintreten?

Wolfgang Neskovic: Das stand bei uns nicht zur Entscheidung an. Ich hatte mich mit den Cannabisprodukten auseinanderzusetzen. Die Frage, wie es sich mit den sogenannten harten Drogen verhält, war von uns nicht zu entscheiden.

Wie kommen Sie denn darauf, daß das Cannabisverbot verfassungswidrig ist?

Wir haben drei Argumentationsstränge entwickelt. Der erste: Das Verbot von Cannabis verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, wesentlich gleiches auch wesentlich gleich zu behandeln. Das tut er nicht, wenn er Alkohol und Nikotin, die für den Einzelnen und für die Allgemeinheit erheblich schädlicher sind als Haschisch, nicht unter Strafe stellt.

Es gibt weltweit keinen einzigen Haschischtoten, aber allein in Deutschland pro Jahr 40.000 Alkoholtote. Bei 30 Prozent der Gewaltdelikte — Mord, Vergewaltigung, Totschlag — spielt Alkohol eine Rolle. Für Cannabisprodukte gibt es keine entsprechende Statistik. Cannabis ist in diesem Zusammenhang kein relevanter Faktor.

Wenn das Bundesverfassungsgericht Ihrer Argumentation folgt, müßte man dann über eine Promillegrenze für Haschischkonsumenten reden? Es gibt ja auch bekiffte Autofahrer.

Das wäre denkbar. Unser zweiter Argumentationsstrang betrifft die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dazu gehört die Möglichkeit, sich zu berauschen. Wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet, wird klar, daß der Rausch den Menschen immer begleitet hat. In diese Entfaltung der Persönlichkeit darf unter besonderen Voraussetzungen eingegriffen werden. Juristisch gesprochen: Dieser Einsatz muß verhältnismäßig sein. Im Hinblick auf den geringen Gefährlichkeitsgrad ist die Strafbarkeit von Haschischkonsum aber unverhältnismäßig.

Wie sieht Ihr drittes Argument aus?

Der Staat ist verpflichtet, den Bürger in seiner körperlichen Unversehrtheit zu schützen. Der rauschwillige Bürger wird durch die unterschiedliche Strafverfolgung von Alkohol und Cannabis aber durch den Staat gezwungen, die gesundheitsschädliche Alternative — den Alkohol — zu wählen. Anders formuliert: Wer sich berauschen will, hat die Wahl zwischen legalen, aber gefährlichen, und illegalen, aber ungefährlicheren Drogen. Das ist verfassungswidrig. Der Bürger wird durch den Staat gezwungen, sich stärker zu schädigen, als das erforderlich wäre.

Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit diesem Thema?

Seit gut zwei Jahren.

Haben Sie selbst schon mal einen durchgezogen, Herr Richter?

Nein. Ich bevorzuge Selterswasser.

Worum ging es denn in dem Fall, den Sie zu entscheiden hatten?

Eine Frau, die wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz unter Bewährungsstrafe stand, hat ihrem in U-Haft einsitzenden Ehemann 1,12 Gramm Haschisch zugesteckt, also eine Konsumeinheit. Dafür hat sie zwei Monate ohne Bewährung bekommen. Wir haben das Verfahren ausgesetzt.

War das Ihre erste Haschisch-Entscheidung?

Ich hab' bisher noch nie jemand wegen Haschischkonsums strafrechtlich belangt. Ich konnte die Verfahren immer einstellen oder jenseits einer Verurteilung erledigen. Dies war der erste Fall, in dem ich aufgrund der Rechtslage jemanden hätte verurteilen müssen. Das kann ich aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vertreten.

Die Auseinandersetzung um die Strafbarkeit von Haschischkonsum ist so alt wie das Betäubungsmittelgesetz — etwa zwanzig Jahre. Wieso kommt jetzt erst ein Richter auf die Idee, daß das verfassungsfeindlich ist?

Mich hat ein Frankfurter Kollege angerufen und mir gesagt: Das wollte ich auch schon immer mal machen. Dieses Feedback hatte ich auch von anderen Kollegen, die sich offensichtlich noch nie die Zeit genommen haben, sich noch intensiver mit der Materie zu befassen.

...oder den Mut nicht hatten?

Ja, vielleicht auch das.

Kann Ihr Engagement negative Folgen für Ihre weitere Karriere haben?

Ich bin Richter und als solcher unabhängig. Deshalb interessiert mich das nicht.

Falls das Bundesverfassungsgericht Ihren Ausführungen folgt: Würde die Justiz nicht entlastet werden, weil viele Delikte nicht mehr verfolgt werden müßten?

Zunächst würde es die Justiz belasten. Die bisher Verurteilten könnten Wiederaufnahmeverfahren betreiben. Das wären ganz schön viele. Umgekehrt könnte das zur erheblichen Entlastung beitragen, was zukünftige Verfahren angeht. Unter Effizienzgesichtspunkten möchte ich lieber Wirtschaftskriminelle oder Umweltstraftäter verfolgen als Leute, die für ihre Krankheit auch noch bestraft werden. Kriminalisierung darf kein Mittel der Gesundheitspolitik sein.

Wann wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

Das ist schwer zu sagen. Das hängt unter anderem davon ab, welche Priorität das Bundesverfassungsgericht setzt. Es ist stark überlastet. Das kann Jahre dauern.

Mit welcher Entscheidung rechnen Sie?

Ich bin der festen Überzeugung: Wenn das Bundesverfassungsgericht in die Details geht und sich die verfassungsrechtlichen Grundüberlegungen vor Augen führt, habe ich gute Chancen, mit meiner Auffassung durchzukommen. Interview: Claus Christian Malzahn