: Mit dem Kronzeugen aufs Glatteis
„Kronzeuge“ Nonne wird immer mehr zu einer peinlichen Luftnummer der Sicherheitsbehörden ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — Es war von Anfang an zu schön, um wahr zu sein: nach zwei Jahren absoluten Leerlaufs bei der Fahndung nach den Mördern des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen, meldet sich — ganz von allein — ein Zeuge, der angeblich die Täter kennt. Damit kann der gesamte Fahndungsapparat nicht nur mit Hochdruck endlich nach konkreten Personen suchen, gleichzeitig glauben Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft in Karlsruhe auch den Kontakt zur Kommandoebene der RAF wiederhergestellt zu haben. Kein Wunder, daß der hessische Innenminister Günther seinen Verfassungsschutz, der den Ex- V-Mann „Siggi“ Nonne an Land gezogen hatte, über den Klee lobte: Erstmals, so Günther, sei es gelungen, „ganz nah an die Tatverdächtigen“ heranzukommen.
Nur knapp fünf Wochen später scheint bei Günther alle Euphorie verflogen. Sichtlich entnervt nahm er in der 'Hessenschau‘ zu Presseberichten Stellung, wonach sein Verfassungsschutz die Frankfurter Anwaltskanzlei Koch illegal abgehört haben soll — nach einem angeblichen Hinweis des „Kronzeugen“, der bei seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft das Büro Koch als „Kontaktstelle für die Kommandoebene der RAF“ bezeichnet haben soll. Die Kanzlei, so versicherte Günther, sei nicht abgehört worden, sondern nur der „Kronzeuge“ selbst und dessen Freundin, auf deren Namen das gemeinsame Telefon angemeldet gewesen sein soll. Und diesen Lauschangriff habe der G-10-Ausschuß des Landtages genehmigt — eine Behauptung, die vom Obmann der Grünen im G-10-Ausschuß, Rupert von Plottnitz, postwendend dementiert wurde.
Doch das ist es nicht allein, was dem Innenminister Kummer macht. Mittlerweile häufen sich die Hinweise, daß der Verfassungsschutz und mit ihm die Bundesanwaltschaft, einem Psychopathen aufgesessen sind. Denn gegen die entscheidende Behauptung Nonnes, dem RAF- Kommando in den Wochen vor dem Attentat Kost und Logis geboten zu haben, steht die Aussage seines Stiefbruders. Mehrere Bekannte Siggi Nonnes und seines Stiefbruders bestätigten gegenüber der taz einen Bericht des ARD-Magazins Monitor, in dem behauptet wurde, daß zum fraglichen Zeitpunkt Nonne mit seinem Stiefbruder zusammenwohnte und dieser ein RAF-Kommando nie gesehen habe. Der Stiefbruder kann sich selbst dazu nicht mehr äußern — er starb an einer Lungenentzündung. Vor seinem Tod war er allerdings von den Fahndern vernommen worden, die die Aussage gleich wieder verdrängten. Auf Nachfrage räumte Generalbundesanwalt von Stahl ein, daß der Stiefbruder Nonnes kurz vor seinem Tod die Existenz des RAF- Kommandos in der gemeinsamen Wohnung bestritten habe — der Mann sei jedoch wegen seiner fortgeschrittenen Krankheit nicht mehr für voll genommen worden. Doch die Nachbarn der beiden Brüder bestätigen die Aussage des damals Kranken. Auch sie haben in dem Mehrfamilienhaus am Hessenring in Bad Homburg keine fremden Personen bemerkt, obgleich die dort wohnenden Rentner „den ganzen Tag am Türspion hängen“, wie sich ein früherer Bekannter von Nonne gegenüber der taz ausdrückte.
Auch das einzige materielle Indiz für die Glaubwürdigkeit Nonnes ist bereits heftig umstritten. Die vom BKA im Keller des Hauses auf einem Pappkarton gefundenen Sprengstoffspuren, stimmen nach Auffassung von Sprengstoffexperten keineswegs mit dem Gemisch überein, mit dem die Herrhausen-Bombe gefüllt war. Die BKA-Erklärung, ein Teil des Sprengstoffs sei während der Lagerung im Keller „bakteriell zersetzt“ worden, löst in Gutachterkreisen nur ungläubiges Kopfschütteln aus.
Die Zweifel an der Glaubwürdigkeit Nonnes sind dagegen nicht neu. Der alkohol- und drogenabhängige Mann, der mehrfach in psychiatrischen Kliniken behandelt wurde und der nach dem Tod seiner Mutter seine angeblich konspirative Wohnung im Bad Homburger anzündete, ist für die Verfassungsschützer kein Unbekannter. Er wurde bis 1986 als V-Mann geführt und dann — wegen „absoluter Unzuverlässigkeit — abgeschaltet“. Als sich Nonne nur Tage nach dem Herrhausen-Attentat bei seinen alten Freunden vom Verfassungsschutz wieder meldete, konnte sich selbst der Terrorismus- Experte des Landesamtes auf das „wirre Zeug“, das „Siggi“ erzählte, keinen Reim machen und maß dem Anruf folgerichtig keine Bedeutung bei. Als der jetzige „Kronzeuge“ dann Wochen später seine nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt liegende Wohnung in Brand setzte, wurde das danach eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Brandstiftung aufgrund von erkannter „Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen“ eingestellt. Und die Verfassungsschützer kümmerten sich noch immer nicht um ihren „Siggi“.
Erst als der sich im Sommer 1991 wieder meldete, hatten die Geheimagenten plötzlich ein Einsehen. Entgegen aller Erfahrung war „Siggi“ plötzlich glaubwürdig und durfte auspacken: Wochen vor dem Attentat habe er der RAF seine Wohnung zur Verfügung gestellt, nachdem die steckbrieflich gesuchte Andrea Klump, die er während einer Besetzung des 'dpa‘-Büros Frankfurt im Jahre 1978 kennengelernt haben will, im Oktober 1989 mit ihm Kontakt aufgenommen habe. Außer Andrea Klumpp und Christian Seidler hätten noch zwei Männer mit den Decknamen „Stefan“ und „Peter“ bei ihm gewohnt — und er habe Fotos vom späteren Tatort machen und „Blaumänner“ für die Tarnung besorgen müssen. Als Erklärung für dieses Verhalten gab der hessische Verfassungsschuz gegenüber der taz an, bei dem zweiten Anruf Nonnes im Juli 1991 habe der „sachbearbeitende Beamte den Eindruck gewonnen, der Informant erwarte persönliche Hilfe von ihm“. Deshalb habe er einem Gespräch zugestimmt. Warum Nonne nach seinem Anruf kurz nach dem Attentat lediglich „observiert“, aber nicht angehört wurde, werde zur Zeit noch geprüft.
Die Entscheidung, den „Zeugen“ Nonne nicht an das zuständige Bundeskriminalamt weiterzureichen, sondern „Siggi“ als Lockvogel zu benutzen, ist nach Darstellung des Verfassungsschutzes allein eine Entscheidung der Bundesanwaltschaft gewesen. Im übrigen sei das BKA aber unterrichtet worden, daß „Hinweise zum Attentat auf Dr. Herrhausen vorlägen“. Die erst vier Monate nach dem Auftauchen Nonnes beim Verfassungsschutz eingeleitete kriminaltechnische Untersuchung der angeblich konspirativen Wohnung von Nonne verlief — mehr als zwei Jahre nach der von Nonne behaupteten Anwesenheit der RAF-Mitglieder — ergebnislos. Nur im Keller wollen die Fahnder auf einem Stück Pappe (!) die genannten Sprengstoffspuren gefunden haben.
Der „Fall Nonne“ ist eine grande Blamage für alle Beteiligten. Ist der „Kronzeuge“ tatsächlich — und dafür spricht (fast) alles — ein kranker Mann und ein begnadeter Märchenerzähler, dann haben Verfassungsschützer und Bundesanwälte mit nachgerade krimineller Energie versucht, einen phantasiereichen Psychopathen auf den harten Kern der RAF anzusetzen, und sich dabei selbst der Lächerlichkeit preisgegeben. Allen voran Generalbundesanwalt von Stahl. Noch ist offen, ob sich „Siggi“ Nonne seine Stories tatsächlich alleine ausgedacht hat.
Sollte sich Nonne aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch noch als der Mann „entpuppen“, der für die RAF den Anschlag auf Herrhausen mit vorbereitete, dann ist das hessische Landesamt für Verfassungsschutz als Schlampladen erster Ordnung enttarnt. Erstmalig in der Geschichte der bundesdeutschen Dienste ermittelt ein Bundesanwalt in einem Landesamt für Verfassungsschutz nun gegen die „Kollegen“ vom Verfassungsschutz. Weil dem „Kronzeugen“ erst vor Wochenfrist eingefallen sein soll, daß er eben diesen Verfassungsschutz bereits vor dem Anschlag auf Herrhausen vor dem Attentat gewarnt habe, sucht die Bundesanwaltschaft in Wiesbaden jetzt nach Belegen für diese neue Behauptung von „Siggi“ Nonne. Die Suchaktion der Bundesanwaltschaft bei den hessischen Verfassungsschützern dürfte der vorerst letzte Versuch der Karlsruher sein, die Glaubwürdigkeit ihres demontierten „Kronzeugen“ wiederherzustellen.
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