INTERVIEW
: Die Rüstungspolitik der Bundesregierung bewegt sich in alten Bahnen

■ Dr. Herbert Wulf, Projektleiter im Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI), kritisiert das fehlende Engagement der Bonner Koalition bei Abrüstung und Konversion

taz: Herr Wulf, seit dem Ende der Blockkonfrontation wird viel über die Friedensdividende als Folge der Abrüstung geredet. Ist die Friedensdividende schon praktisch geworden?

Herbert Wulf: Sie ist insofern praktisch geworden, als es eine ganze Reihe von Ländern gibt, die ihre Militärausgaben reduziert haben. Allen voran die ehemalige Sowjetunion und die Vereinigten Staaten. Im Gegensatz dazu sind die Militärausgaben in der Bundesrepublik in den letzten Jahren im wesentlichen konstant geblieben. Nun darf man aber nicht davon ausgehen, daß die Friedensdividende, die in den genannten Ländern frei wird, automatisch und gezielt in andere Projekte, in die Konversion gesteckt wird. In den USA ist die Ersparnis im wesentlichen in die Haushaltskonsolidierung gegangen.

Um wieviel Prozent hat sich das amerikanische Militärbudget reduziert?

Bisher um rund 20 Prozent, wobei eine weitere Kürzung um 20 Prozent bis Mitte der 90er Jahre angekündigt worden ist. Dazu muß man allerdings sagen, daß es sich bei den angekündigten Streichungen zum großen Teil um Kürzungen von geplanten Erhöhungen handelt. Bisher ist das amerikanische Militärbudget, das 1989 noch bei rund 320 Milliarden Dollar lag, auf etwa 280 Milliarden Dollar runtergegangen.

Konversion kostet Geld. Die Klagen über die Kosten vermitteln zum Teil den Eindruck, als sei die Abrüstung teurer als die Aufrüstung?

Für Teilbereiche gilt das auch. Nehmen wir die chemischen Waffen. Die umweltfreundliche Vernichtung von chemischen Waffen wird teurer als ihre Produktion. Für andere Waffen, beispielsweise Panzer, wird die Vernichtung dagegen wesentlich billiger. Ein Panzer, der für fünf Millionen Mark hergestellt worden ist, kann für 40.000 bis 50.000 Mark verschrottet werden.

Schließungen von Rüstungsbetrieben führen in besonders stark betroffenen Regionen, beispielsweise in der Slowakei, zu massiven ökonomischen Einbrüchen und einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ein Grund dafür, daß der von den tschechoslowakischen Reformern einst versprochene Stopp von Waffenexporten nicht durchzuhalten ist...

Genau an dieser Stelle setzt der Konversionsgedanke an. Durch planvolle Konversion sollen Situationen wie in der Tschechoslowakei, in der man vor lauter Hilflosigkeit etwas macht, was man politisch nicht will, vermieden werden. Ich glaube, man kann dem tschechoslowakischen Präsidenten Havel abnehmen, daß er die Ankündigung, wir wollen keine Waffen mehr exportieren, ernst gemeint hat. Wer also Abrüstung politisch will, muß sich Gedanken machen, wie die Ressourcen umgelenkt werden können. Ein Konversionsprogramm ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn die Märkte werden den Umbau nur in den seltensten Fällen regeln können. Konversion muß im voraus geplant werden, sonst geht der Prozeß hauptsächlich zu Lasten der Arbeitnehmer. In den USA werden jetzt die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie zu Hunderttausenden abgebaut. Angesichts der schlechten Konjunkturlage haben selbst die gut Ausgebildeten unter ihnen woanders kaum eine Chance. Diesen schwierigen Umstellungsprozeß gilt es durch Konversion abzufedern.

Gibt es Beispiele für erfolgreiche Konversionsprojekte?

Es gibt einige wenige Firmen, die die Zeichen der Zeit erkannt und den Rüstungsanteil zugunsten von zivilen Produkten verringert haben. Ob man das Konversion oder Diversifikation nennt, ist mir nicht so wichtig. Entscheidend ist, daß Rüstungsbetriebe nicht einfach dichtgemacht werden, sondern daß versucht wird, die Abhängigkeit zu reduzieren. Es gibt aber in den USA nach wie vor Firmen, die ganz auf den Rüstungsmarkt setzen. Vorwiegend spezialisieren sich diese Betriebe auf jene Felder, die nach wie vor expandieren — zum Beispiel auf die Raketenproduktion. In der europäischen Rüstungsindustrie findet derzeit ein nie gekannter multinationaler Konzentrationsprozeß statt. Dadurch wird die schon bisher schwierige nationale Rüstungsexportkontrolle künftig noch komplizierter.

Es gibt kaum einen deutschen Politiker, der nicht das Wort Abrüstung und Konversion im Munde führt. Welche Rolle spielt die deutsche Regierung im internationalen Vergleich auf diesem Feld? Was erwarten Sie von der Bonner Regierung?

Ich würde mir wünschen, daß man erstens einmal die Konsequenzen aus dieser fatalen Aufrüstung des Irak zieht. Der Irak wurde ja von östlicher wie westlicher Seite erst in die Lage versetzt, eine riesige Militärmaschinerie aufzubauen, die dann auch zur Invasion Kuwaits fähig war. Zweitens würde ich mir wünschen, daß die Bundesregierung endlich die Konsequenzen daraus zieht, daß der Kalte Krieg vorbei ist und sich die politische Landschaft in Europa radikal verändert hat. Um es am größten Rüstungsprojekt der Bundesrepublik festzumachen: man hat vor ungefähr zehn Jahren mit der Entwicklung des Jäger90 angefangen, zu einer Zeit also, als der Kalte Krieg noch auf dem Höhepunkt war. Jetzt hält man weiterhin an diesem Projekt fest. Die Bundesregierung ist bisher die Antwort schuldig geblieben, was dieses Flugzeug denn in Zukunft soll?

Von Deutschland gehen keine Abrüstungs- und Konversionsimpulse aus?

Man ruht sich auf den Lorbeeren aus, die man im Rahmen der Wiedervereinigung bezüglich der Bundeswehrstärke erreicht hat. Man macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, ob es unbedingt die vereinbarten 370.000 Mann sein müssen. Woher drohen denn die Gefahren für die Bundesrepublik? Warum kann man nicht einen Schritt weiter gehen? Wogegen wollen wir uns verteidigen? Man klammert sich in der Bundesrepublik an den alten Konzepten fest und macht lediglich von allem ein bißchen weniger. Interview: Walter Jakobs