Schatten auf „historischem“ Vertrag

Kohl und Havel unterzeichnen den Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei/ Zweifel an der baldigen Ratifizierung des Vertrags im CSFR-Parlament  ■ Aus Prag Sabine Herre

Als Bundeskanzler Kohl an diesem nebelverhangenen Donnerstag vormittag hinaus nach Lany, der Sommerresidenz der tschechoslowakischen Staatspräsidenten, gefahren wurde, da dürften ihm die Gegensätze Böhmens sehr schnell deutlich geworden sein. Die durch Monokultur und den schnellen Aufbau der Schwerindustrie zerstörte Landschaft auf der einen, die Vielzahl der Baustellen, auf denen die Tschechen an ihren schmucken Ein- und Mehrfamilienhäusern arbeiten, auf der anderen Seite. Die zerfallenden staatlichen Gebäude auf der einen, die neuen, sich im Privatbesitz befindenden Restaurants, Hotels und Boutiquen auf der anderen Seite.

Und vielleicht waren es gerade diese Gegensätze zwischen der „alten“ realsozialistischen und der „neuen“ demokratischen Tschechoslowakei, die Staatspräsident Václav Havel seinem Besucher aus dem Nachbarland zeigen wollte. Denn in dem rund 30 Kilometer von Prag entfernt liegenden Lany wurden bisher nur wenige Staatsgäste empfangen.

Vielleicht wollte Havel Kohl jedoch auch etwas vom Geist der ersten Tschechoslowakischen Republik, die in einem Europa der nationalistischen und faschistischen Staaten bis zum Münchner Vertrag des Jahres 1938 ihre demokratische Staatsform wahren konnte, spüren lassen. Denn in dem von einem englischen Park umgebenen Renaissanceschloß hatte Präsident Thomas G. Masaryk mit Wissenschaftlern, Politikern und Historikern über die politische Linie der jungen Republik diskutiert.

Zu dieser Tradition der ersten Republik hat sich Havel, der auch von der tschechoslowakischen Bevölkerung als der legitime Nachfolger Masaryks gefeiert wird, stets bekannt. Ja, er hatte sogar die Tradition der sogenannten „Gespräche aus Lany“ wiederaufleben lassen: An jedem Sonntagnachmittag erfahren die Hörer des tschechoslowakischen Rundfunks, wie ihr Präsident die aktuellen politischen Fragen seines Landes beurteilt. In diesen „Gesprächen“ hatte Havel sich auch immer wieder mit dem deutsch-tschechoslowakischen Freundschaftsvertrag beschäftigt, hatte seine Bedeutung für die Zukunft der Beziehungen zu dem „wichtigen Nachbarn“ betont.

Und doch ist an diesem Donnerstag vormittag in Lany nicht zu übersehen, daß die die in den letzten Wochen immer lauter gewordene Kritik an dem Vertragswerk auch Havel nervös gemacht hat. Wie oft hat er gefordert, den Vertrag nun endlich zu unterzeichnen! Dies ist jetzt geschehen, noch jedoch muß das umstrittene Werk von den Parlamenten beider Länder ratifiziert werden. Eine Annahme des Vertrages durch die Abgeordneten der tschechoslowakischen Föderalversammlung erscheint im Augenblick alles andere als wahrscheinlich. Zum einen haben die nationalistischen und linken Parteien der Slowakei in den letzten Monaten die Verabschiedung fast aller wichtigen Gesetze verhindert, zum anderen machten auch die linken Gruppierungen der Tschechischen Republik deutlich, daß sie den Nachbarschaftsvertrag in der vorliegenden Form ablehnen werden. Und so scheint die belanglose Erklärung, mit der der Pressesprecher Václav Havels nach den deutsch-tschechoslowakischen Gespächen in Lany vor die Presse trat, allzu deutlich den Problemen auszuweichen. Beide Seiten, so hieß es lapidar, wären sich in allen Fragen „einig“. Das waren sie nicht. Der deutsche Regierungssprecher Vogel legte Wert drarauf, daß Kohl in seinem Gespräch mit Havel den Ausschluß der Sudetendeutschen von Bodenversteigerungen in der Tschechoslowakei angesprochen habe.

Auch nicht uneingeschränkt harmonisch ging es dagegen bei der Vertragsunterzeichnung selbst zu. Während Václav Havel in einer kurzen Ansprache bewußt jede Bemerkung zur aufgekommenen Kritik an dem Vertragswerk vermied, wurde Helmut Kohl deutlicher. Er forderte die CSFR auf, im Hinblick auf ihre zukünftige Mitgliedschaft in der EG bereits heute den Erhalt der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Zwar sprach der Bundeskanzler diplomatisch von einer Möglichkeit für alle „ausländischen Bürger“, für wen diese jedoch vorrangig gelten sollte, das war für die Anwesenden keine Frage.