Leibeigenschaft auf See

■ Der Fall eines Seemanns zwischen Rechtlosigleit und Sozialamt

Der Bremer Kurt L. hat einen ordentlichen Beruf: Kurt L. fährt als Chefingenieur zur See. Und doch er immer mit einem Bein im Sozialamt. Seit der Bundestag im März 1989 der Einführung eines zweiten Schiffregisters zugestimmt hat, hat sich seine Welt grundlegend geändert.

Die Reeder können nun Seeleute aus der „Dritten Welt“ zu den Bedingungen einstellen, die in deren Heimatländern gelten. Das hat den Druck auf die Arbeitsbedingungen der Deutschen Seeleute enorm erhöht. Sie sind gezwungen, dubioseste Arbeitsverhältnisse einzugehen.

So auch der Bremer Kurt L. Bei einem bekannten Schiffsmakler, einer ersten Adresse der feinen Bremer Kaufmannschaft, heuerte er auf einem Erzfrachter an, der unter liberianischer Flagge fährt. Die Bremer Firma ist dabei nicht etwa der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat in diesem Fallseinen Sitz auf den Bermudas. „Sitz“ ist etwas übertrieben: Meist verbirgt sich hinter einer Adresse nur ein verrosteter Briefkasten.

Der Bremer Makler heuert im Auftrag der Fremdfirma an, er zahlt die Löhne, er entläßt, aber verantwortlich ist die Firma in der Karibik. Die Arbeitsverträge haben nichts mit deutschem Recht zu tun — mit dem Recht der Bermudas allerdings auch nicht. Um die Verwirrung komplett zu machen: Auf dem Arbeitsvertrag ist als Gerichtsstand Panama angegeben.

Kurt L. ging in Kapstadt an Bord und fuhr auf dem Erzfrachter zwischen Südafrika und Angola. Einige Wochen vor Ablauf der Heuer geriet er mit dem Kapitän in Streitigkeiten. Der versuchte daraufhin, den unbequemen Mitarbeiter so schnell wie möglich loszuwerden. Er rief den Besitzer der Fremdfirma auf den Bahamas an, einen Österreicher. Der ist gleichzeitig auch Besitzer der angolanischen Gruben, deren Erz auf dem Schiff transportiert wird, auf dem dem L. angeheuert hat. Nebenbei gilt der Österreicher als einer der größten Waffenschieber Afrikas.

Die Beschwerde des Kapitäns wurde erhört. Der Chef telefonierte gleich mit seinem Bremer Statthalter. Der wiederum pfiff Kurt L. zurück nach Bremen. Man würde schon einen neuen Job für ihn finden.

Kurt L. flog nach Deutschland, doch dort war von einer neuen Arbeit nicht mehr die Rede. Zwar hatte er noch einen laufenden Arbeitsvertrag, doch der war das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben stand. Der Bremer Schiffsmakler sagte, daß er nichts für L. tun könne. Schließlich habe dieser den Vertrag ja nicht mit ihm abgeschlossen.

Kurt L. arbeitete nicht, also bekam er auch kein Geld. Er konnte sich zwar arbeitslos melden, aber Ansprüche auf Unterstützung hatte er nicht. Bei dem Vertrag mit der ausländischen Firma waren Sozialabgaben nicht vorgesehen. Dem Ingenieur blieb nur der Gang zum Sozialamt.

Gegen die Bremer Heuer- Firma klagte er vor dem Arbeitsgericht. Am 14. Januar dieses Jahres wies das Gericht die Klage ab. Man sei nicht zuständig. Vertragspartner sei das Unternehmen auf den Bahamas, Gerichtsstand Panama. L's Anwalt hat überlegt, in die Revision zu gehen. Das macht L's Rechtsschutzversicherung nicht mit. Was bleibt, ist allein die Klage in Panama gegen einen Briefkasten auf den Bermudas. Von Sozialhilfe können L. und seine Familie nicht leben. Also hat er sich eine neue Heuer gesucht — zu ungefähr denselben Bedingungen wie bei der vorigen. L's Anwalt sagt, daß Verträge nach deutschem Recht nicht mehr zu bekommen sind. Die Schiffsmakler hätten die Stempel zehn verschiedener Nationen in der Schublade. Jochen Grabler