Plastik-Pinte oder Plaste-Kneipe?

■ Helmut Schönfeld von der »Gesellschaft für deutsche Sprache« referierte über die Entwicklung des Berlinischen/ Verstehen sich Ostberliner und Westberliner noch?/ Der Berliner Dialekt ist eigentlich eine wilde Sprachmischung

Mitte. Verstehen sich die Ostberliner und Westberliner noch? Laut Dr. Helmut Schönfeld, Umgangssprachforscher an der Humboldt-Universität und Mitglied der in Wiesbaden ansässigen »Gesellschaft für deutsche Sprache«, hat die Mauer auch eine Sprachgrenze gebildet. Er referierte am Mittwoch abend im »Haus des Lehrers« über die Entwicklung des Berlinischen, das sich über die Jahrhunderte aus dem Niederdeutschen herausgebildet hatte.

Die mittelalterlichen Berliner hatten nämlich Platt gesprochen, das im Zuge der Ausbreitung der Buchdruckerkunst ab 1500 von der hochdeutschen Schriftsprache durchsetzt wurde. Manches aber hielt sich hartnäckig bis heute: »ick« und »wat«, »Boom« und »loofen«. Aber auch das Obersächsische mischte sich in den Sprachpott der preußischen Metropole, und die niederländischen, hugenottischen und jiddischsprechenden Einwanderer, die »Tacheles redeten«, von der »Mischpoke« sprachen oder »aus Daffke« handelten, mixten um 1700 ebenfalls ihre Zutaten hinein. Nicht zu vergessen die Gaunersprache Rotwelsch, denn was wären die Berliner heute ohne solche Ausdrücke wie »dufte«, oder »kess«. Kein Wunder also, daß die Berliner Umgangssprache sich durch hohe Kreativität auszeichnete. Neuprägungen wie »Rollmops«, »Mietskaserne«, »Laubenpieper« oder Wendungen wie »uff die Palme jehen« und »treulose Tomate« breiteten sich von Berlin aus im gesamten deutschen Sprachgebiet aus, während der Berliner Dialekt als Hauptstadtsprache im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auch von den umliegenden Dörfern übernommen wurde und heute bis an die Elbe sowie die mecklenburgische Landesgrenze reicht.

Helmut Schönfeld hatte Sprachkarten mitgebracht, die dieses Phänomen aufzeigen. Um 1880 war das historische Zentrum der Stadt der Hauptsitz des Berlinischen, während man draußen (»buten«, »druten«, »drußen«) in den Dörfern mit ihren Wiesen (»Wischen«, »Wäsen«, »Wesen«) immer noch niederdeutsch sprach. Als sich 1920 sieben Städte sowie diverse Gemeinden und Gutshöfe zu Groß-Berlin zusammenschlossen, wurde das Niederdeutsche zurückgedrängt. Dennoch hielten sich die Unterschiede bis in die 50er Jahre, je nach Standort spielten die Kinder nicht »Fangen«, sondern »Einkriege«, »Greifzeck«, »Kriegezeck« oder »Greife«.

Ab 1961 aber bildete die Mauer zunehmend eine Sprachgrenze. Darauf wies nicht nur der Referent, sondern auch sein hochkompetentes Publikum aus Ost- und West-Berlin hin. Während sich, natürlich je nach Schicht, auf der Westberliner Insel immer mehr das Hochdeutsche durchsetzte, als Verständigungsmittel zwischen den geborenen Berlinern und den zugewanderten »schwäbischen Landmädels«, wie ein Zuhörer formulierte, pflegte man im Osten weiterhin den Dialekt. Wohl auch ein wenig als sprachlichen Widerstand: »Die Dialekte wurden in der DDR bis 1978 radikal bekämpft, Veröffentlichungen darüber waren schwierig«, meinte Helmut Schönfeld. Die Hauptstadt der DDR sei »ja von Sachsen regiert worden«, ergänzte eine Ostberlinerin, »in den Betrieben und den Redaktionen war Sachsenland, und wir Berliner mußten uns behaupten«.

Doch seit dem Mauerfall, meinte der Sprachforscher, fühlten sich manche Ostberliner, als hätten sie in Konfrontation mit den neuen westlichen Modewörtern wie »Feeling« oder »Outfit« die Sprache verloren: »Das Team ersetzte das Kollektiv, und die Zulassung wurde zum KFZ- Schein«. Andere Ausdrücke wie der »Eumel« hätten schon vorher ihren Weg von West nach Ost genommen, umgekehrt war diese Entwicklung an der Mauer abgeprellt. So kommt es, daß nun die Verständigung holpert, wenn die Ostberliner weiter von »Kneipe«, »Plaste« und dem »Schlächter« sprechen, die Westberliner aber von »Pinte«, »Plastik« und dem »Metzger«. Das Ostwort »Strecke«, das sich in der »Protokollstrecke« Erich Honeckers und in der »Beratungsstrecke« heutiger Alternativprojekte niederschlug, würden die Westberliner am liebsten zur Strecke bringen. Ähnlich aber ergeht es den Ostberlinern mit dem westlichen »Flieger«: Das sei, meinte ein klassenbewußter Zuhörer, »die typische Jetsetsprache von diesen Menschen mit den Nadelstreifen und den kleinen Köfferchen«. Ute Scheub

Am 2.4. werden in der Vortragsreihe der »Gesellschaft für deutsche Sprache« im »Haus des Lehrers«, Alexanderplatz 4, Raum 1018, »Aspekte der Sprache der Religion« behandelt, am 30.4. geht es um die »Sprache der Werbung« und im Juni um die »Sprache der Tagesschau«.